Q’omer Khocha – Wanderung im Tiraque-Gebirge

09.09.2023    11 Minuten     0 Kommentare


Unsere heutige Wanderung liegt im Tiraque-Gebirge (Cordillera Tiraque), in der südwestlichen und höhergelegenen Ecke des Nationalparks Carrasco. Der nördliche, tiefergelegene Teil des Nationalparks hat einen schlechten Ruf. Aufgrund des sehr aktiven illegalen Drogenhandels soll es dort zu gefährlich sein, um Wandern zu gehen. Mit diesem Problem müssen wir jedoch jetzt nicht rechnen, da Kokasträucher auf dieser Höhenlage nicht wachsen.

Tag 1

Der Startpunkt der Wanderung befindet sich ungefähr halbwegs zwischen Cochabamba und Totora. Um dorthin zu gelangen, sind wir mit dem zwischen den beiden Ortschaften verkehrenden Minibus gefahren. Gestartet sind wir an der Kreuzung der Av. 6 de Agosto und der Av. Republíca. Die Fahrt dauerte 2 Stunden und ging sehr unproblematisch.

Bei dieser Wanderung haben wir uns an die Tourenbeschreibung von Gallotrekk orientiert. Bereits in seinem Text haben wir gelesen, dass man für den Zugang zu diesen Bergen eine Genehmigung im Dorf einholen muss. Touristen, die das Dorf einfach durchqueren, riskieren die Wut der Dorfbewohner. Schon direkt als wir die Hauptstraße verlassen haben, sind zwei Männer zu uns gekommen und befragten uns skeptisch, wer wir seien und wo wir denn hinwollen. Als sie uns nach unserer Wandererlaubnis gefragt haben, erklärten wir ihnen, dass wir von der Genehmigungspflicht wissen und diese direkt bei Ankunft im Dorf beim Oberhaupt kaufen werden. Unsicher, schon fast misstrauisch ließen sie uns weitergehen. Wir folgten der Schotterstraße 3 km lang. Auf der Hälfte der Strecke hielt ein Auto mit zwei Dorfbewohner an, die uns freundlich anboten mit dem Auto mitzunehmen. Wir lehnten das Angebot dankend ab, weil der Spaziergang sehr angenehm war und wir am heutigen Tag keine lange Strecke vor uns hatten.

Am Anfang des Dorfes konnten wir eine sehr besondere Pflanze, die Königin der Anden, bewundern. Die Riesenbromelie gilt als das Wahrzeichen Perus. Diese kann aber auch in Bolivien und im nördlichen Chile gefunden werden und fühlt sich am wohlsten in Höhenlagen von 3500 bis 4500 Metern, besonders an sonnigen und gut bewässerten Hängen. Die Riesenbromelie bildet die längsten Blütenstände der Welt (bis zu 8 Metern hoch), womit sie auch ins Guinness-Buch der Rekorde eingetragen wurde. Obwohl sie über 100 Jahre alt werden kann, blüht sie nur ein einziges Mal für etwa 9 bis 12 Monate in ihrem gesamten Leben.

Als wir in der Gemeinde angekommen sind, fiel uns direkt das große Gebäude auf. Wir gingen darauf zu, als wir Frauen am Fenster sitzen sahen, die uns den ganzen Weg zum Haus beobachteten. Ein junger Mann kam aus dem Haus und stellte sich als Oberhaupt der Gemeinde vor. Er bat uns in das Haus hinein, wo ca. 15 Frauen und Männer im Kreis saßen und uns fragend anschauten. Wie sich herausgestellt hat, fand gerade eine Veranstaltung statt. Jeden Tag treffen sich die Dorfbewohner und besprechen alle wichtigen Angelegenheiten. Das Oberhaupt bat uns, dass wir uns kurz auf Spanisch vorstellen: Wer sind wir und was haben wir vor? Als wir beendet haben, übersetzt er unser Anliegen an die Dorfbewohner in der Quechua-Sprache.

Sie haben zusammen alles gemeinschaftlich und ziemlich demokratisch entschieden. Ob sie uns die Erlaubnis erteilen und wie viel Geld sie dafür verlangen. Die Besprechung verlief extrem entspannt, so wie man das aus Europa nicht kennt. Alle anwesenden Männer haben witzigerweise während der Besprechung Kokablätter konsumiert, welches uns freundlicherweise auch angeboten wurde. Nach positiver Bewertung unseres Wanderantrages haben wir als Eintrittsgeld 10 Bolivianos, also ungefähr 1,35 €, pro Kopf beim ältesten Mann des Dorfes bezahlt, der anscheinend für die Finanzen (Dorfkasse) verantwortlich war. Unglaublicherweise haben wir sogar eine Quittung erhalten, welche wir unterwegs zeigen können, sollte noch mal jemand danach fragen.

Das Meeting war schon ein absolutes Highlight. Nicht nur das es uns sehr überraschte auf einmal in Mitten des Dorfgeschehen zu sein, änderte es auch unsere Wanderroute. Denn sie konnten uns nur eine Erlaubnis für den westlichen Teil unserer geplanten Strecke ausstellen. Für den östlichen Part sind nicht sie, sondern eine andere Gemeinde zuständig. Zudem haben sie uns davon abgeraten den Weg dorthin zu folgen, weil die dort lebenden Menschen angeblich überhaupt nicht freundlich seien und diese bei Touristen sogar oft aggressiv reagieren. Eine Information, die wir nicht prüfen konnten, ihnen aber einfach glauben mussten, um unsere Wanderung stressfrei zu halten. Dafür haben sie uns eine Alternativroute für den zweiten Teil empfohlen, welche zwar auf unserer Karte nicht markiert war, nach ihrer Beschreibung aber relativ einfach zu finden sei.

Mit der Wandererlaubnis in der Hand sind wir Richtung Westen losgegangen. Das Dorf hat sich ordentlich in die Länge gezogen. Mehrere Dorfbewohner haben uns unterwegs gegrüßt, die jüngeren freundlich, die älteren eher skeptisch. Ein älterer Herr ist uns sogar auf Quechua rufend bis zum Dorfende gefolgt. Wir sind gar nicht auf die Idee gekommen, dass er uns meinte und sind einfach weiter spaziert. Als dieser aber immer weiter rief, hielten wir an. Auch er fragte uns misstrauisch was wir denn hier machen. Wir zeigten ihm unseren Zettel und mussten dann noch mal genau im Detail erklären, wo wir diesen herhaben, wie der Mann hieß und so weiter. Wir konnten ihn aber schließlich mit unserem frisch erworbenen Zettel beruhigen. 

Die Straße machte einen starken Bogen Richtung Norden und fing an leicht bergauf zu gehen. Währenddessen haben wir immer weniger Häuser gesehen, bis wir dann bald das letzte Haus der Gemeinde hinter uns gelassen haben. Die Schotterstraße verlief die nächste halbe Stunde etwas eintönig Und dann plötzlich nach einer Kurve konnten wir den ersten Blick auf die Berggipfel werfen. Der Anblick hat uns sprachlos gemacht. Die in den Wolken eingehüllten, steinigen Berge hoben sich würdevoll von ihrer Umgebung ab.

Nach einigen Fotos und einer kurzen Brotpause setzten wir unseren Weg auf der Schotterstraße fort. Nach einer Stunde haben wir dann den ersten See unserer Wanderung erreicht. Er wurde künstlich als Stausee ausgebaut und dient damit als Trinkwasserspeicher für die darunter gelegene Gemeinde. Kein Wunder also, dass die Dorfbewohner nicht einfach jeden vorbeilassen. Solche Wasserspeicher sind in Europa eingezäunt und bewacht. Wasser ist nämlich unser oberster Schatz. Die Berge und die Wolken spielten ein unglaubliches Lichtspiel auf der Wasseroberfläche. Wir machten zahlreiche Fotos, während wir linksseitig am See vorbeigingen. Am Ende des Stausees verschwand unser Wanderweg in einem Polylepis-Wald.

Diese sehr besonderen Bäume gehören zur Familie der Rosengewächse, welche in den gesamten Anden vom nördlichen Venezuela bis ins nordwestliche Argentinien vorkommen. Der Baum besitzt einen gewundenen Stamm, sowie eine sehr auffällige, rötliche, abblätternde Rinde. Er ist damit an das kalte Klima der Hochanden angepasst: Die abblätternde Rinde sorgt durch eingeschlossene Luft für Isolation. Einige Arten der Familie bilden noch bis in Höhenlagen zwischen 4000 und 4850 Metern zusammenhängende Wälder, wo sonst keine anderen Bäume mehr wachsen können. Der Polylepis-Wald im Sajama-Nationalpark in Westbolivien gilt mit seiner Höhenlage von 5200 Meter als einer der höchstgelegenen Wälder der Welt.

In dem Wald, wo wir durchgewandert sind, wird das Alter der ältesten Bäume auf 200 Jahre geschätzt. Nach dem Wald sind wir auf einer idyllischen, grünen Wiese gewandert. Rechts von uns war ein kleiner Fluss mit einem Wasserfall zu sehen. Die Größe des Flussbettes hat uns aber signalisiert, dass hier in der Regensaison deutlich größere Wassermengen ankommen. Normalerweise wäre der Platz hier perfekt für einen Zeltplatz geeignet. Da wir aber gut in der Zeit lagen und nicht wussten, was uns morgen erwartet, gingen wir weiter bergauf.

Nach wenigen Höhenmetern erreichten wir den zweiten und für den heutigen Tag letzten See, die Laguna Jurki Khocha (4050 m). Hier haben wir zuerst auf einem massiven Gesteinsbrocken eine kurze Pause eingelegt, um Ausschau nach einem geeigneten Zeltplatz zu halten. Die Landschaft hat uns wieder fasziniert: ein tiefblauer Bergsee umgeben von steilen Steinwänden, im Hintergrund mit noch höheren Berggipfeln, welche zwischen den Wolken Wache standen. Nach kurzem Rundumblickwaren wir schnell einig, dass der Ort bestens für unseren Zeltplatz geeignet ist. Wir gingen also vom Gesteinsbrocken herunter, an ein paar grasenden Küchen vorbei, um unser Zelt nach sooo viel Zeit endlich wieder aus seiner Tasche rauszuholen. Wir haben den restlichen Nachmittag und den Abend auf diesen wunderschönen Platz sehr genossen. Fast haben wir schon vergessen, wie schön es ist, in Mitten der Natur und unter dem klaren Sternenhimmel zu schlafen.

Tag 2

Am nächsten Tag haben wir unser Camp direkt nach dem Frühstück abgebaut, um keine Zeit zu verlieren. Wir wussten nämlich noch gar nicht, wie lang der Tag werden wird oder wo wir überhaupt heute schlafen werden. Wir gingen erneut an den uns anguckenden Kühen vorbei, wobei wir wegen der Anwesenheit eines Kalbs vorsichtshalber etwas Abstand gehalten haben (schlechte Erfahrungen aus den Alpen 🙈😅). Dem ursprünglich geplanten Weg folgend kletterten wir an einem steilen und noch im Schatten liegenden Berghang hinauf. Auf unserer rechten Seite hat ein weiterer Wasserfall uns dabei bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg zum dritten See waren. Der unter uns liegende See wurde dabei immer kleiner. Kurze Zeit später kamen wir an einem hervorragenden Aussichtspunkt an, von wo wir aus auf die beiden Seen der gestrigen Wanderung zeitgleich sehen konnten.

Nach weiteren 50 Höhenmetern haben wir dann den dritten See, die Laguna Sanamayu, auf 4200 m erreicht. zunehmender Höhe wurden die Bergseen immer rauer. Anders als die beiden vorherigen, lag dieser See komplett in den steilen Berghängen, sodass wir hier keine flache Fläche z.B. für ein Zelt finden würde.

Nachdem wir dieses Naturwunder ausführlich bestaunten, mussten wir eine Entscheidung treffen, wie wir ab hier weiter gehen werden. Der Hochpass, also der höchste Punkt des ursprünglich geplanten Rundwanderweges, befand sich hinter diesem See. Ab hier gab es jedoch keinen belaufenen Weg weiter und der seitliche Abhang, auf dem man den See passieren müsste, war sehr steil und gefährlich. Ein falscher Tritt und man findet sich mit einem schweren Rucksack im eiskalten Wasser wieder. Ein Weg, den man definitiv nicht zweimal laufen möchte.

Aus diesem Grund haben wir uns etwas Zeit genommen, um die Wanderkarte genauer zu studieren. Die ursprüngliche Rundwanderung wollten wir ja nicht mehr gehen, weil uns die Dorfbewohner davon abgeraten haben. Das bedeutete, dass wir ziemlich sicher sein müssen, dass wir den von ihnen empfohlenen Alternativweg finden werden, wenn wir diese schreckliche Traverse nicht zurücklaufen wollen. Aber egal wie lange wir die Karte studiert haben, konnten wir keine Stelle erkennen, wo wir vom Hochpass hätten westlich runtergehen können. Da diese Variante zu viele Unsicherheiten hatte, haben wir uns dafür entschieden unsere Wanderung ganz stressfrei zu halten und den gleichen Weg zurückzugehen. Der Weg hat uns bis jetzt sehr gefallen und so haben wir noch die Chance einen Bus am selben Tag zurück nach Cochabamba zu bekommen. Damit werden wir auch einen Tag sparen, was wir für eine weitere Wanderung nutzen können, denn unser Visum in Bolivien läuft offiziell in 2 Tagen ab.

Zufrieden mit unserer Entscheidung drehten wir um und gingen langsam hinunter. Wir sagten dabei noch einmal Tschüss zu all den Naturwundern, die wir bergauf begegnet sind. Massive Steinberge, kristallklare Wasserfälle, grasende Kühe, pastellblaue Seen, uralte Polylepis-Bäume, idyllische Wiesen und schlussendlich die Königin der Anden, die Riesenbromelie. Wir liefen erneut durch das Dorf hindurch, was uns tatsächlich jetzt noch länger erschien. Wir haben dieses Mal so gut wie keine Dorfbewohner getroffen, wahrscheinlich weil es Sonntagmittag war. Als wir an der Hauptstraße wieder angekommen sind, hatten wir keine 5 Minuten Zeit, um nachzudenken, wie wir jetzt nach Hause fahren können, denn es kam schon direkt der erste Minibus, dem wir zum Anhalten gewunken haben.

Zwei Stunden später saßen wir schon wieder in unserer Unterkunft in Cochabamba mit einem gut verdienten, kalten Bier in der Hand. Nachdem wir unsere Eindrücke von der Tour wiederbelebt haben, war schon wieder Zeit an die nächste Tour zu denken. Am nächsten Tag wollten wir nämlich gleich weiterwandern, und zwar auf den Pico Tunari (5030m). Somit haben wir den restlichen Abend für die Vorbereitungen der morgigen Tour genutzt. Jedoch haben wir nicht an alles gedacht, sodass uns am nächsten Morgen einige Überraschungen erwarten werden. Aber das erfährst du im nächsten Blogbeitrag!

Min. Höhe: 3530 m
Max. Höhe: 4200 m
Anstieg: 670 m
Länge: 9,20 km
Zeit (nur hoch): 5:40 h
Lage: -17.4327, -65.5400
Kartenansicht hier

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