Huayna Potosí

05.11.2023    22 Minuten     0 Kommentare


6088 m hartes Granitgestein. Eisige Gletscher. Dünne Luft. Das trockene Altiplano im Westen. Das feuchte Amazonasbecken im Osten. Die Sonne über uns. Die Wolken unter uns. Wir auf dem Gipfel des Huayna Potosís.

Seitdem wir in Südamerika sind, haben wir uns gewünscht auf dieser Reise einen 6000er Berg zu besteigen. Und da es davon genau 100 Stück verteilt auf die ganzen Anden gibt, war es gar nicht so einfach sich für einen zu entscheiden. Aus diesem Grund haben wir ein bisschen recherchiert mit dem Ergebnis, dass einer der einfachsten 6000er Berge der Huayna Potosí sein soll. Die Besteigung ist für Bergsteiger mit wenig Erfahrung geeignet, denn diese verläuft überwiegend ohne technische Schwierigkeiten. Perfekt also für uns! Aber natürlich darf man nicht vergessen, es ist dennoch ein 6000 m hoher Berg und damit alles andere als leicht zu besteigen.

Der Huayna Potosí liegt etwa 25 km nördlich von La Paz in Bolivien in der Gebirgskette der Cordillera Real. Sein Name kommt aus der Sprache der Aymara und bedeutet Junger Berg (Huayna: jung; Potosí: Berg). Der Berg besteht aus hellgrauem Granitgestein und ist zu allen Seiten mit dicken Gletschern bedeckt, die bis auf 5000 m hinunter reichen. Der Weg zum Gipfel ist geprägt durch felsiges Gelände, hartem Schnee, scharfkantigen Eisspitzen und zerklüfteten Gletscherspalten. Das Gelände ist nicht einfach und die Luft ist dünn, denn auf 6000 m Höhe stehen nur noch 60% des Sauerstoffs im Vergleich zum Meeresspiegel zur Verfügung.

Bestiegen werden kann der Berg sowohl im Alleingang als auch mit einer Tour, die über 2-3 Tagen geht, je nachdem wie gut man akklimatisiert ist. Bei der 3-Tagestour findet eine Einführung in die Begehung eines Gletschers mit Steigeisen und Eispickeln statt, die mit einer Eisklettereinheit endet. Da wir noch nie Eisklettern waren und großes Interesse daran hatten, haben wir uns für die 3-Tagetour entschieden und können diese wärmstens empfehlen.

Tag 1 – Fahrt zum Basislager

Aufgeregt vor den kommenden Tagen standen wir vor der noch verschlossenen Tür des Tourenanbieters. Um 8 Uhr hatten wir uns verabredet. Es ist jetzt 10 Minuten nach 8 Uhr. Nach weiteren 10 Minuten kam die Dame tiefen entspannt die Sagarnaga Straße hinauf spaziert, öffnete die Tür, zog die Rollläden hoch und begrüßte uns freundlich. Wir besprachen die letzten Angelegenheiten und wurden dann zur Anprobe geschickt. Dort trafen wir auf zwei Mädels, die mit uns den Huayna Potosí besteigen werden.

Wir probierten Windjacken, Windhosen, Fleecejacken, Fleecehosen, Pullover, Sturmmasken, Helm, Handschuhe und Schuhe an. Einige Sachen hatten wir davon bereits, sodass wir diese nicht leihen mussten. Da die Temperaturen auf dem Gipfel im November erwartungsgemäß nicht unter -10°C sinken, konnten wir sogar unsere eigenen Bergschuhe anziehen. 

Nach einer Stunde hatten wir alle Sachen zusammengesucht und packten diese in unsere Rucksäcke. Wir stiegen in den Minivan und fuhren 2 Stunden Richtung Norden. Wir kannten diese Strecke bereits von unserer Besteigung des Berges Chacaltaya, wo wir in Alto Milluni starteten. Dieses Mal aber fuhren wir weiter Richtung Zongo. Die Schotterstraße schlängelte sich durch das rot-braune Tal. Neben uns tauchte die farbintensive Lagune Jankho Khota auf. Wegen des mineralreichen Bodens leuchtete das Wasser lila und die vertrockneten Seiten rostigbraun. Im kompletten Kontrast dazu lag die nur wenige Hundert Meter entfernte Lagune Janq’u Quta mit ihrer milchig-blauen Farbe. Hinter ihr ragte majestätisch der gletscherbedeckte Huayna Potosí hoch in den Himmel hinauf.

Jetzt war es nicht mehr weit bis zum 4700 m hohen Basislager. Nur noch wenige Autominuten fuhren wir bis zu unserer Unterkunft, dem Refugio Casa Blanca. Anders als der Name vermuten lässt, war das Haus nicht weiß, sondern grau und bestand aus 2 Abteilen. Einen Anbau, wo die Schuhe und andere Ausrüstungen standen, und einem Hauptraum, in dem wir gemeinschaftlich saßen. Dort befand sich auch die kleine Küche, wo für uns bereits das Mittagessen in der Pfanne brutzelte. Es gab Hähnchenbrust mit Reis. Für die Vegetarier Fisch, die eine lange Nase zogen, sodass das Essen gegen gebratene Eier ausgetauscht werden musste. Eine Treppe führte hinauf ins Dachgeschoss, wo auf dem Boden Matratzen ausgelegt waren. Jeder suchte sich eine Matratze aus und packte seinen Schlafsack darauf.

Tag 1 – Eisklettern

Nachdem Mittagessen zogen wir unsere Wanderschuhe an und packten die Steigeisen in den Rucksack. Mit Helm und Eispickel ausgerüstet starteten wir 13 Uhr unsere Wanderung zum Eisklettern. Wir folgten zunächst den Weg hinauf immer mit Blick zum wunderschönen Huayna Potosí. Nach etwa 30-40 Minuten sahen wir dann den Gletscher vor uns, der in eine hellgraue Lagune mündete, die von hellgrauem Granitgestein umgeben war. Von der Lagune aus floss ein Fluss hinab ins Tal.

Wir querten den Fluss und gingen entlang der Lagune in Richtung Gletscher. Unser Guide erzählte uns, dass er seit 7 Jahren als Guide hier arbeitet. In diesem Zeitraum ist der Gletscher enorm zurück gegangen. In seinem 1. Jahr existierte noch keine Lagune und der Gletscher begann dort, wo heute die Lagune beginnt. Nun ist er etwa 40 m kürzer. Hinterher haben wir sogar gelesen, dass durch die globale Erwärmung sich die Eisdicke um 2 bis 3 m pro Jahr reduziert. Puh. Das ist einfach nur schockierend. Viele Geschichten haben wir während unserer Reise von den Menschen über ihre Gletscher gehört und jedes Mal sind wir aufs Neue bis aufs Mark bestürzt. Der Klimawandel ist so extrem zu spüren in den Anden. Venezuela hat dieses Jahr sogar seinen letzten der ehemals 6 Gletscher verloren und gilt nun als gletscherfrei.

Betrübt darüber wanderten wir weiter bis wir den Gletscher erreicht haben. Anders als man sich das vorstellt, war der Gletscher hier gar nicht weiß, sondern nahm eine gräuliche Farbe an, die aussah wie dreckiger Schnee. Grund dafür ist, dass sich auf der Gletscheroberseite Sand und Geröll von den darüber liegenden Berghängen ablagert, welche dorthin erodieren oder mit dem Wind transportiert werden. Die oberste Schicht des Gletschers bestand daher aus einem Schnee-Eis-Kies-Gemisch, welches aber hart gefroren war.

Wir zogen unsere Steigeisen an und machten unsere ersten Schritte auf dem Gletscher. Unser Guide Javier erklärte uns die Grundlagen, wie man sich auf dem Gletscher bewegt. Ganz wichtig: immer die Steigeisen mit Kraft ins Eis drücken, damit diese richtigen Halt bekommen. Andernfalls rutschen sie einfach auf der eisigen Fläche weg. Sollte man trotzdem auf dem Eis ins Rutschen kommen, soll man sich mit Hilfe der Eispickel wieder bremsen. Damit man schnell reagieren kann, ist es wichtig, dass man die Eispickel immer in der bergseitigen Hand hält. Wir gingen die schräge Wand hinauf und übten das Gehen auf dem Gletscher. Danach gingen wir zur senkrechten Wand, die sich auf der rechten Seite des Gletschers befand.

Jeder Tourenanbieter hat seine eigene Stelle an der Wand, wo sie das Eisklettern durchführen, sodass mehrere Gruppen parallel klettern konnten. Javier kletterte mit seinen Eispickeln in einem schnellen Tempo die Wand hoch, und das ohne Sicherung. Als er oben angekommen war, nahm er ein Seil, befestigte dieses mit zwei Eisschrauben und seilte sich dann wieder hinab. Er gab uns ein paar Tipps zur richtigen Technik und dann ging es für uns auch schon an die Wand. Wenn man dann an der Wand hängt, ist es doch alles ganz anders und man vergisst die Theorie, sodass man schlussendlich mehr Energie aufwendet als es sein müsste. So fühlt man sich nach 1-2 Runden ganz schön kaputt. Aber man darf auch nicht vergessen, dass wir uns auf knapp 5000 m befinden.

Ursprünglich haben die Tourenanbieter diese Übung eingeführt, weil es vor ein paar Jahren auf dem Weg zum Gipfel eine Eiswand gab, an der das Eisklettern notwendig war. Der Gletscher hat sich inzwischen aber so verändert, dass dies aktuell nicht der Fall ist. Nichtdestotrotz können wir das kleine Training jedem empfehlen, der mit dem Gedanken spielt den Huayna Potosí zu besteigen, denn der extra Tag ist nicht nur als Akklimatisierung super nützlich, sondern man bekommt auch ein besseres Gefühl für die Steigeisen. Und es macht auch einfach Spaß!

Tag 2 – Aufstieg zum Hochlager

Die Nacht war, wie sie in einem großen Gemeinschaftsraum üblich ist, nicht so wirklich erholsam. Irgendwie hat man immer das Glück, dass mindestens eine Person laut schnarchen muss. Die Temperaturen in der Nacht waren für uns beide angenehm, da wir unsere dicken, kuschligen Schlafsäcke hatten. Die beiden Mädels haben jedoch in ihren Sommerschlafsäcken extrem gefroren und waren damit nicht so richtig munter am Morgen. Dies änderte sich dann aber mit dem großartigen Frühstück um 8 Uhr, das eine absolute Überraschung war. Wir haben warme Brötchen mit Marmelade oder Manjar (Milchkaramellcreme), Müsli, Pancake und sogar geschnittenes Obst bekommen. Das war wirklich ein toller Start in den Tag.

Nach dem Frühstück hatte jeder noch Zeit sich auf die bevorstehenden Wanderungen vorzubereiten, denn wir mussten noch auf die Wanderer warten, die heute den Huayna Potosí bestiegen haben. Diese machen auf dem Rückweg eine Essenspause am Hochlager bevor sie hinabsteigen zum Basislager. Da das Hochlager aber nur eine bestimmte Kapazität an Personen hat, müssen wir am Basislager warten bis sie bei uns eingetroffen sind. Das nenne ich mal geschicktes, logistisches Manövrieren.

Zur Mittagszeit kamen dann die ersten Wanderer bei uns am Basislager an. Alle hatten ein breites Grinsen im Gesicht und waren überglücklich. Sie schwärmten vom Gipfel und von dem guten Wetter, was sie heute hatten. Sie erzählten auch, dass sie die Gruppe einen Tag zuvor trafen, die absolut schlechtes Wetter hatten, ohne jegliche Sicht. Ja da steckt man in den Bergen echt nicht drinnen. Wir hofften nur, dass sich das gute Wetter halten wird.

Wir starteten die Wanderung kurz nach 12 Uhr. Den ersten Part der Wanderung bis zur Lagune kannten wir bereits von gestern. Heute gingen wir jedoch nicht zum Gletscher, sondern wir stiegen dessen Geröllmoräne hinauf. Von dort oben hatten wir einen wunderbaren Blick zurück auf den Gletscher und ins Tal hinein. Sogar den Berg Chacaltaya, den wir vor ein paar Tagen bestiegen haben, sahen wir von hier oben. Wir gingen auf dem Kamm der Moräne bis zum Ende, wo eine kleine Hütte mit einem Schild, auf dem Registrationsstelle stand, lag. Wir befinden uns jetzt auf 4965 m Höhe. Die Hütte war verlassen, sodass wir nur eine kurze Snackpause machten.

Dann ging es 200 Höhenmeter richtig steil bergauf. Der Weg war aber zum Glück mit großen Trittsteinen ausgebaut, die das wandern erleichterten. Wer auch immer diesen Weg gebaut hat, es muss unendlich viel Kraft und Zeit gekostet haben. Wir kamen gut voran und waren froh darüber, dass wir in den letzten beiden Wochen so viele Wanderungen in diesen Höhenlagen gemacht haben.

Wir erreichten eine gut ausgebaute, große Hütte namens Refugio Las Rockas auf 5150 m. Dies war das ursprüngliche Hochlager. Da der Gletscher sich aber in den letzten Jahren soweit zurückgezogen hat, wurde ein neues Hochlager 120 m oberhalb gebaut. Von hier sahen wir den Vorgipfel des Huayna Potosí, der sich selber aber in den Bergen versteckte.

Beim Refugio Las Rockas endete der Weg aus Trittsteinen. Wir mussten nun über das feste Granitgestein klettern, stellenweise so steil, dass wir Hilfsseile hatten. Hier ist es wirklich angebracht einen kleineren Rucksack zu nehmen. Empfohlen sind 50-60l, aber je kleiner desto handlicher. Wir hatten nur unsere 70l Rucksäcke, die an einigen Passagen doch ziemlich im Weg waren. Der Weg bestand nur noch aus festem Granit oder Geröllfeldern, die aus großen Granitsteinen bestanden.

Nach insgesamt 2,5 Stunden und gerade mal 2 km erreichten wir das Hochlager Refugio Huayna Potosí Alto Campo auf 5270 m Höhe. Das kleine Haus bestand eigentlich nur aus Holz und Wellblech. Es war aber gut gewärmt von innen, sodass es eigentlich recht gemütlich war. Beim Betreten des Hauses kommt man erst einmal in die offene Küche und von dort in den Gemeinschaftsraum, der aus zwei langen Tischen bestand. Im nächsten Zimmer war dann der große Schlafsaal, der sogar Doppelstockbetten hatte. Welch ein Luxus hier über den Wolken.

Den ganzen Nachmittag über war der Himmel leider zugezogen, sodass wir keinen Blick auf den Gipfel hatten. Wir verbrachten die Zeit mit den anderen Gruppen zusammen. Wir waren vielleicht um die 15 Leute. Zu unserer Bewunderung war sogar eine Frau mit 68 Jahren unter den Expeditionsteilnehmer, die sich morgen auf den Weg zum Gipfel wagen. Sie war körperlich top fit. Wir wünschen uns, dass auch wir im gleichen Alter genauso fit sein werden, sodass wir solche Bergtouren dann immer noch machen können 😃.

Uns ging es bisher zum Glück körperlich gut, denn wir haben bereits etliche Wanderungen auf dieser Höhe in den letzten 2 Wochen gemacht und haben sogar bei der Wanderung zum Gletscher Ventanani auf 5100 m geschlafen. Jetzt sind wir nicht viel höher, sodass wir weder Kopfschmerzen noch andere Erscheinungen von Höhenkrankheit hatten. Andere Wanderer hingegen hatten schon mit der Höhe zu kämpfen, sodass einige prophylaktisch Medikamente zur Vorbeugung der Höhenkrankheit nahmen.

Das Abendessen fand bereits sehr früh statt, sodass wir alle zeitig ins Bett gehen konnten, denn die Nacht war äußerst kurz.

Tag 3 – Gipfelbesteigung

Kurz nach Mitternacht klingelte der Wecker. Gebraucht haben wir den Wecker nicht, denn man kann vor so einer aufregenden Tour kaum schlafen. Ein Gedanke nach dem anderen kommt und geht, sodass wir bereits wach im Bett lagen. Als wir aufgestanden sind, haben wir unsere vielen Schichten an Klamotten angezogen und die letzten Sachen in unseren kleinen Rucksack verpackt. Die großen Rucksäcke bleiben heute im Hochlager, weil wir mit den kleinen viel agiler unterwegs sein können. Im Gemeinschaftsraum wartete auf uns bereits ein Kuchen und heißes Wasser für Tee. Jeder konnte frühstücken, wann er wollte. Nach und nach schlurften die Leute in den Raum hinein. Es war recht leise hier, denn alle waren noch müde und verschlafen.

Die Gruppen starteten versetzt zu einander, damit man nicht in einer Schlange gehen musste und sich nicht gegenseitig im Weg war. Um 1 Uhr gingen die ersten los. Wir wünschten uns allen viel Erfolg und Glück. Wir machten uns indessen auch Startklar, das heißt wir zogen unsere warmen Sachen an, setzten unsere Helme auf, befestigten die Stirnlampen und die GoPro daran und gingen hinaus in die Dunkelheit.

Es war nicht nur dunkel, sondern stockdunkel, da es hier weit und breit kein künstliches Licht gab. Der Mond war ebenfalls nicht am Himmel zu sehen, dafür aber die hellen Sterne, die so schön funkelten. Durch den wolkenfreien Himmel war es extrem kalt draußen. Ich würde sogar behaupten, dass es zweistellig unter 0°C war. Wir zogen unsere Steigeisen an, denn wir gingen direkt auf den Gletscher. Die beiden Mädels waren schneller mit dem Anziehen, sodass sie sich von uns verabschiedeten und los gingen. 10 Minuten später waren auch wir soweit. Die Steigeisen saßen fest und wir waren mit einem Seil, mit einem Abstand von etwa 5 m, aneinandergebunden. Zuerst kam unser Guide, dann ich und zum Schluss Attila.

Das Seil dient als Sicherheit. Wenn zum Beispiel eine Person fällt, dann soll das Seil verhindern, dass diese Person abstürzt. Dass das Seil so kurz ist, hat den Vorteil, dass man beim Fallen nicht so weit abstürzt. Bei Expeditionen von unbekannten Gletschern müssen die Bergsteiger viel längere Seile benutzen, damit sie nicht gemeinsam in dieselbe Gletscherspalte fallen. Dies ist hier aber nicht der Fall, denn der Huayna Potosí wird täglich von mehreren Touristengruppen bestiegen, sodass die Guides den Weg sehr gut kennen.

Um 01:40 begannen wir mit dem Aufstieg zum Gipfel des Huayna Potosí. Der Lichtkegel unserer Stirnlampen wies uns den Weg. In der Ferne sahen wir nur die leuchtenden Punkte der Stirnlampen von den Gruppen, die bereits vor uns gestartet sind. Nach etwa einer viertel Stunde sahen wir, wie der Mond hinter den Bergen aufging. Es war nur eine zarte Sichel, denn wir haben gerade den abnehmenden Mond in seiner Endphase. Es sah beeindruckend aus. Der Mond gab uns kein Licht, sodass wir im Lichtkegel der Stirnlampen weiterwanderten. Wir gingen langsam, aber kontinuierlich. Wir versuchten so wenig Pausen wie möglich zu machen, da es extrem kalt war und man nicht noch weiter abkühlen wollte. Nichtsdestotrotz waren meine Füße so kalt, dass ich ein weiteres Paar dicke Socken anziehen musste.

Der Boden war hart und fest gefroren, sodass wir die Steigeisen gut in das Eis drückten. Wir mussten hier und da über Risse im Boden steigen, gingen an Eiswände vorbei, an denen Eiszapfen hingen, stiegen steilere Eiswände hoch und kamen somit stetig unserem Ziel näher. Nach 40 Minuten hatten wir die ersten 150 Höhenmeter geschafft und sahen zum ersten Mal La Paz in der Fernen hell aufleuchten.

Wir waren gut unterwegs, sodass wir nach einer Weile die beiden Mädels eingeholt haben. Sie waren aus der Puste, aber sehr motiviert. Wir überholten weitere Gruppen und mussten leider bei einem Team feststellen, dass es sich gerade dazu entschieden hat, umzudrehen. Es war sehr traurig das zu sehen. Wir wollten uns erst gar nicht vorstellen, wie sie sich fühlen mussten. Aber auch wir wurden von einem schnelleren Team überholt, das bald nur noch an ihren Lichtkegeln zu sehen war.

Stunde für Stunde vergingen und wir sahen einfach nichts. Es war ein super komisches Gefühl, denn normalerweise geht man ja wegen der Landschaft wandern, aber nun gehen wir in der absoluten Finsternis mit dem Ziel den Gipfel zu besteigen. Für uns zwei komplett verschiedene Sachen. 

Wir erreichten das Ende des Gletschers und kamen damit am letzten Part an. Vor uns ragte der steinige Felsen auf, an dessen Spitze sich der Gipfel befand. Nur noch dieses Stück, dann haben wir es geschafft. Gegen 5 Uhr verfärbte sich allmählich der Horizont gelb und rot. Es war ein unglaublich schönes Gefühl zu sehen wie langsam die Umgebung heller wurde und Gestalt annahm. Wir sahen, dass wir uns über den Wolken befanden. Und ja das Freiheitsgefühl war grenzenlos. Die Wolken sahen so flauschig aus, also ob man dort hineinspringen könnte.

Der Boden bestand zunächst noch aus felsigem Untergrund mit vereinzelten Eisflächen, sodass wir am Anfang die Steigeisen noch an hatten. Wir kamen an einer Traverse an, die an einem steilen Abgrund war. Nun konnten wir bereits nach unten sehen und das was wir sahen, gefiel uns gar nicht. Ausgesetzte Traversen sind ja nicht gerade unsere Lieblingswege in den Bergen. Hier gab es aber kein Zurück mehr, wenn wir schon so weit gekommen sind, mussten wir da jetzt durch.

Die Eisflächen wurden immer weniger, sodass wir unsere Steigeisen bald auszogen und nur noch die steile Felswand hinaufkletterten. Nach ein paar steinigen Passagen erreichten wir den 6000-Höhenmeter-Meilenstein. Es war ein wahnsinniges und überwältigendes Gefühl. Vor uns lagen nur noch 88 Höhenmeter steiniges und felsiges Gelände mit einem steilen Abhang nach unten.

Auf den letzten Höhenmeter ging langsam über dem Horizont die Sonne auf. Die Wolken verfärbten sich rot unter uns. Wir beobachteten kurz unterhalb des Gipfels den schönsten Sonnenaufgang, den man sich vorstellen kann. Wir waren so dankbar dafür, dass wir so gutes Wetter hatten. Nach weiteren 20 Minuten standen wir um 06:13 auf dem Gipfel des Huayna Potosí, auf 6088 m Höhe. Wir haben es geschafft!!!

Uns ging es körperlich super. Wir hatten weder Atemproblem, noch Kopfschmerzen oder anderweitige Anzeichen von Höhenkrankheit. Das Gefühl, dass in uns war, kann man gar nicht in Worte fassen. So viele Emotionen tauchten in uns auf. Wir waren glücklich. Wir waren voller Adrenalin. Wir waren überwältigt. Wir waren unendlich stolz auf uns und wir waren überaus dankbar.

Damit wir unsere wohlverdienten Gipfelfotos sorglos machen konnten, hat Javier uns mit einer Eisschraube gesichert, denn wir standen direkt über der 1000 m senkrechten Eiswand der Westseite. Diese Eiswand ist Javier bereits im Alleingang mit den Eispickeln hochgeklettert. Was für eine wahnsinnige Leistung. Mir wurde nur vom Anblick ganz schwindelig, denn man konnte keinen Boden sehen, so tief war es. Ein falscher Schritt und man hängt wortwörtlich in der Luft. Wir machten Fotos zu allen Richtungen und genossen einfach den Moment hier oben. Nach einer gewissen Zeit haben es auch die beiden Mädels geschafft. Wir gratulierten uns gegenseitig für diese Leistung und machten noch ein Gruppenfoto zusammen.

Tag 3 – Abstieg

Wir blieben bis um 7 Uhr hier oben und gingen dann wieder hinab. Javier drängte uns mittlerweile, dass wir uns beeilen müssen, denn mit der aufgehenden Sonne erwärmt sich die Temperatur und der Gletscher fängt an zu schmelzen und wird damit gefährlich. Dieses Mal ging Attila vor, dann kam ich und zuletzt unser Guide.

Beim Hinuntergehen sahen wir zum ersten Mal den riesigen Gletscher direkt vor uns. Da hier oben kein Geröll auf den Gletscher erodieren kann, war der Gletscher schneeweiß und strahlte uns in der Sonne regelrecht an. Die dichte Wolkenwand versperrte uns die weitere Sicht des Gletschers, dennoch war es ein wahnsinniger Anblick. Wir kletterten immer weiter hinunter, zogen unsere Steigeisen wieder an, quälten uns über die fürchterliche Traverse bis hinunter zum Gletscher. Endlich konnten wir sehen, was auf dem Hinweg im Verborgenen lag.

Durch das ungleichmäßige Schmelzen des Gletschers entstanden scharfkantige Eisspitzen, die in allen Himmelsrichtungen um uns herum aufragten. So eine Landschaft haben wir noch nie gesehen. Wir gingen vorbei an mehreren Eiswänden, mit ihren langen Eiszapfen. Es waren tiefe Abbruchkanten zu sehen, wo der Gletscher bereits aufriss. Dann kamen wir an der steilen Eiswand an, die sich auf dem Weg hinauf schon so schlimm anfühlte, aber nun sahen wir, dass die Eiswand senkrecht über viele Meter hinab verlief. Damit man sich nicht an der Eiswand abseilen musste, wurde ein schmaler, sehr steiler Weg in die Wand gehauen, der aber alles andere als einfach war. Ein falscher Tritt und man fällt in den endlosen Gletscherspalt darunter. Javier hat an dieser Stelle zum Glück wieder eine Eisschraube benutzt, um uns zu sichern.

Die Sonne stieg indessen immer höher und erwärmte die Umgebungsluft stetig, sodass wir einige Schichten an Klamotten ausziehen mussten. Auch dem Gletscher war es offensichtlich warm, denn er fing an zu tauen, wodurch das Eis unter uns von Minute zu Minute weicher wurde. Wir verstanden nun, warum Javier uns die ganze Zeit so drängte.

Je tiefer wir kamen, desto öfter tauchten Gletscherspalten auf, die wir überspringen mussten. Diese waren auf dem Hinweg in der Dunkelheit für uns gar nicht so präsent gewesen, aber jetzt, wo man gesehen hat, wie tief diese waren, hatte man wirklich Respekt davor. Einige Gletscherspalten waren so tief, dass wir kein Ende sahen. Gleichzeitig wurde der unter uns schmelzende Gletscher immer gefährlicher. Wasserpfützen bildeten sich mittlerweile, sodass man eher durch Eismatsch ging. Es war schon ein komisches Gefühl, wenn das Eis unter den Füßen gerade zu Wasser wird. Wir gaben also noch mehr Gas, um schnellstmöglich das Hochlager zu erreichen.

Trotz der Eile genossen wir die einzigartige Landschaft um uns herum. Wir redeten viel mit Javier, der uns viele Geschichten erzählte. Er selber hat bereits alle 6000er Berge in Bolivien bestiegen und stand sogar auf dem 6961 m hohen Aconcagua, dem höchsten Berg außerhalb Asiens, wofür er nicht mal eine Akklimatisierung brauchte, denn er steigt fast jeden Tag beruflich auf dem Gipfel des Huayna Potosí. Als er dann sagte, dass er eine Akklimatisierung erst ab einem 7000er Berg bräuchte, mussten wir herzlich lachen. Das war wirklich eine andere Welt.

Um 10 Uhr erreichten wir das Hochlager. Nach und nach trudelten alle ein, sodass wir gemeinsam über unser Gipfelglück sprechen konnten. Wir waren alle so glücklich und grinsten nun über beide Ohren. Die 68-jährige Frau erzählte uns, dass ihr Guide viel zu langsam Bergauf gegangen ist und sie ihn die ganze Zeit antreiben musste. Wieder mussten wieder alle Lachen. Was für eine Powerfrau.

Das Adrenalin ging langsam aus unseren Körpern heraus, sodass wir müde wurden. Gegen 11 Uhr gab es dann endlich Mittagessen, was uns wieder Energie gab. Es fühlte sich so an, als ob es schon später Nachmittag war, da der Tag so früh startete. Nach dem Mittagessen gingen wir hinab zum Basislager, wo bereits der Van auf uns wartete. Wir setzten uns hinein und fuhren dann auch schon los. Jetzt ging alles so schnell. Kaum zu glauben, dass wir heute Morgen auf dem Huayna Potosí standen.

Noch tagelang haben wir von dieser Tour geschwärmt. Wir waren richtig süchtig nach dieser Erfahrung und wollten direkt den nächsten Berg besteigen. Wir fragten bei den Tourenanbietern an, ob wir den 6460 m hohen Illimani besteigen können, aber leider sagten alle, dass die Saison vorbei ist. Tagsüber wird es zu schnell warm, sodass die Gletscher schmelzen und unberechenbar werden. Aktuell ist das Risiko zu groß, was wir wirklich verstanden, denn wir konnten die Problematik mit der Gletscherschmelze hautnah spüren. Wir beide haben auf jeden Fall nicht nur ein unvergessliches Erlebnis gehabt, sondern auch Lust auf weitere Hochtouren bekommen, sodass wir uns gut vorstellen können, andere Berge in Zukunft zu besteigen.

Min. Höhe: 4790 m
Max. Höhe: 6088 m
Anstieg: 1230 m
Länge: 5,44 km
Zeit: 2 Tage
Lage: -16.2625, -68.1542
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