Ventanani-Gletscher

30.10.2023    23 Minuten     0 Kommentare


Einmal einer Gletscherwand haut nah sein. Das blaue Eis zu sehen und zu fühlen. Das Knacken des Eises zu hören. Die Kälte zu spüren. Die Anspannung, ob jeden Moment ein Stück Eis abbrechen wird und um dann zu sehen, wie dieses mit einem lauten Knall in das blaue Wasser stürzen wird. Das war unser großer Traum. Um uns diesen Traum zu erfüllen, gibt es in Südamerika diverse Möglichkeiten. Da wir uns gerade in der bolivianischen Stadt La Paz befinden, war für uns der Ventanani-Gletscher am einfachsten zu erreichen. Zudem sahen die Fotos im Internet einfach unglaublich schön aus.

Nur wo liegt eigentlich der Ventanani-Gletscher?

Der Gletscher Ventanani liegt am Fuße des Berges Ventanani und erstreckt sich bis zum Nevado Condoriri, welcher im gleichnamigen Bergmassiv gelegen ist. Das Condoriri Bergmassiv ist Teil der Cordillera Real (deutsch: Königskordillere), welches sich 60 km von La Paz entfernt befindet und aus insgesamt 16 Gipfeln mit Höhen von über 5000 m besteht. Der Ursprung des Namens Condoriri stammt aus der Sprache der Aymara und bedeutet Kondor. Dies lässt sich ableiten aus dem zentralen Teil des Bergmassivs, dessen Felsformation die Silhouette eines Kondors mit aufgespannten Flügeln darstellt.

Der Nevado Condoriri (deutsch: Verschneiter Kondor, 5648 m) ist der höchste Berg und bildet den Kopf des Kondors ab. Seine beiden Nachbarberge Ala Derecha (deutsch: Zur Rechten, 5482 m) und Ala Izquierda (deutsch: Zur Linken, 5532 m) sind die aufgespannten Flügel des Kondors.

Der Gletscher Ventanani wird normalerweise mit einer geführten Tour als Tagestour besichtigt. Dazu fährt man mit dem Van von La Paz aus bis zur Lagune Juri Khota und wandert dann hinauf bis zum Gletscher Ventanani. Wir wollten den Gletscher aber weder mit einer geführten Tour noch als Tagestour erwandern. Wir haben daher etwas im Internet recherchiert und den Circuit Juri Khota – Chiar Khota gefunden. Wenn man etwas mehr Zeit hat, kann man den Weg als Condoriri Trek entlang des Huayna Potosí bis nach Alto Milluni folgen. Den kleinen Ort Alto Milluni kannten wir bereits von unserer Wanderung zum Chacaltaya.

Der Circuit Juri Khota – Chiar Khota beginnt an der Lagune Tuni, geht über die Lagune Juri Khota bis zum Gletscher Ventanani und dann weiter über den Berg Pico Austria bis zur Lagune Chiar Khota und zurück zur Lagune Tuni. Wieso wir nicht den kompletten Weg gewandert sind, sondern nur bis zum Gletscher Ventanani, erfährst du weiter unten.

Zunächst einmal war es gar nicht so einfach zur Lagune Tuni zu kommen. Öffentliche Verkehrsmittel von La Paz aus gibt es keine und ein eigenes Auto mieten kam für uns gar nicht in Frage. Daher blieben uns nur die beiden Optionen: Taxi mieten oder uns einer geführten Tour zum Pico Austria anschließen.

Für die Hinfahrt haben wir uns für Letzteres entschieden, nachdem wir mit einigen Tourenanbietern in der Sagarnaga Straße in La Paz gesprochen haben. Diese boten uns an, dass wir mit dem Van bei einer Gruppe mitfahren, die an dem Tag den Pico Austria von der Ostseite besteigen wollen. Die Kosten entsprachen dem Transportaufwand und waren damit deutlich günstiger als ein Taxi. Für die Rückfahrt nach La Paz entschieden wir uns hingegen für ein Taxi, denn damit sind wir deutlich flexibler als mit einem Tourenanbieter, der genaue Uhrzeiten für den Rücktransport hatte. Mit mehreren Taxifahrern standen wir diesbezüglich im Kontakt und haben uns dann für den günstigsten entschieden. Mit ihm besprachen wir im Vorfeld alle Details. Für diese Variante ist es aber zwingend notwendig eine chilenische Handykarte zu haben. Handyempfang hatten wir während der Wanderung nur in der Nähe der Lagune Tuni.

Nachdem wir sowohl die Hinfahrt als auch die Rückfahrt organisiert hatten, kauften wir unsere Lebensmittel ein und packten unsere Rucksäcke, sodass es bereits am nächsten Tag los ging.

Tag 1 – Laguna Juri Khota

Treffpunkt war vor dem Büro des Tourenanbieters, wo alle bereits gespannt auf den Tag warteten. Mit unseren großen Wanderrucksäcken fielen wir schon arg auf und wurden daher von allen fraglich beäugt.

Nachdem wir La Paz verlassen haben, sind wir zunächst durch das Altiplano Richtung Titicacasee gefahren. Alles war um uns herum flach. Hier und da bauten die Menschen einfach ein Haus und wohnten dort im Nirgendwo, weder mit Strom noch Internet. Wo sie das Wasser herbekamen, war uns ein Rätsel.

In der Ferne sahen wir bereits die schneebedeckten Berge der Cordillera Real. Wir bogen nach einer Weile in Richtung Anden ab und kamen ihnen immer Nähe. Wir fuhren in das flache Tal hinein, während die Berge um uns herum stetig höher wurden. Am Ende des Tals ragte dann majestätisch der Kondor auf, mit seinen Bergen Nevado Condoriri, Ala Derecha und Ala Izquierda, zwischen denen die Gletscher noch tief in das Tal hingen.

Sowohl der Vanfahrer als auch wir haben keinen Wanderweg gesehen, sodass wir mehrmals die Straße hoch- und runterfahren mussten. Wir beschlossen dann einfach, dass er uns an der Stelle hinauslassen soll, wo unsere Karte sagte, dass da der Wanderweg starten müsste. Gesagt, getan.

Da standen wir also auf der Straße und schauten verzweifelt und suchend nach einem Weg hinauf zum Pass und mussten feststellen, dass es keinen gab. Also gingen wir die Straße ein Stück weiter ins Tal, wo wir an einem kleinen Haus ankamen, welches wir bereits vom Auto aus gesehen hatten. Dort fragten wir den Bewohner um Hilfe. Er erzählte uns, dass man alles einfach ablaufen kann. Er war schon unzählige Male da oben, weil seine Schafe dort grasen. Während er uns das erzählte, zeigte er mit dem Finger nach oben. Und tatsächlich sahen wir eine Schafsherde und zwei Hunde. Hütehunde. Oh weh. Aber er versicherte uns, dass sie kein Interesse an uns zeigen werden und wir einfach an ihnen vorbei gehen können. Na dann…

Wir gingen also zurück zu der Stelle, wo der Wanderweg auf unserer Karte startete und wanderten dann einfach drauf los. Die Richtung orientierte sich an einem Pass zwischen dem Berg Qullpani und einer namenlosen Erhebung. Wir schauten in regelmäßigen Abständen auf die Karte, um uns zu vergewissern, dass wir nicht zu weit vom Weg abwichen. Zum Glück war der Hang nicht so steil und mit vielen gelben Gräsern bewachsen, die uns einen sehr guten Halt gaben. Wir folgten vorwiegend den Trampelpfaden, die bereits von Schafen, Eseln und Alpakas wahrscheinlich über Jahrzehnte hinweg getrampelt wurden. So erreichten wir den Pass nach etwa 1,5 Stunden.

Heute war das Wetter einfach wunderbar, sodass wir eine richtig tolle Sicht auf das Tal und die Berge hatten. Am Talende sahen wir die drei Berge des Kondors steil hinaufragen. Direkt unterhalb von uns lag die Lagune Tuni, in deren Hintergrund der wunderschöne Huayna Potosi thronte. In genau einer Woche werden wir auf dem schneebedeckten 6088 m hohen Gipfel stehen, was wir uns aktuell noch gar nicht vorstellen können. Wie wir erfahren werden, ist unser Guide von dieser Seite des Berges die 1000 m hohe, senkrechte Eiswand hinaufgeklettert. Dies ist aber nur für die absoluten Profis gedacht. Wir werden von der Rückseite den Berg besteigen.

Zur anderen Seite des Berges sahen wir das neue Tal, wo unten Alpakas grasten. Der weitere Weg verlief als schottrige Traverse bis zum nächsten Pass. Der Traversweg war diesmal breit, bestand aus festem Material und man konnte ihn dadurch sehr einfach bewandern.

Am zweiten Pass angekommen, endete der Weg langsam im Nichts, sodass wir nicht sahen, wo wir weiterlaufen mussten. Da direkt vor uns ein Zaun war, gingen wir parallel am Zaun entlang, sahen aber bald auf der Karte, dass wir nicht richtig waren, sondern in das Tal gehen müssten. Wir wanderten daher zurück zu der Stelle, an der wir am Pass angekommen sind und entdeckten, dass der Zaun dort geöffnet werden kann. Wir wechselten also die Zaunseite und gingen, wie die Karte sagte, querfeldein. Bald fanden wir den Weg wieder und folgten diesem. Der Untergrund war sandig und steinig und es gab nur wenig Vegetation, die vor allem aus den gelben Gräsern bestand.

Als wir um einen Berghang herum gingen, tauchte vor uns plötzlich die Lagune Juri Khota auf, die intensiv blau leuchtete und ein richtiger Farbkleks in der ansonsten rot-braun-grauen Landschaft war. An der Lagune stand ein kleines Lehmhaus, mit einem ebenso blau leuchtenden Dach, dass uns sofort ins Auge fiel. Die Lagune lag gebettet in den dunkelgrauen und rauen Bergen. Am Talende thronte wieder der Kondor über die gesamte Region. Der Fluss, der von der Lagune kam, schlängelte sich talabwärts zwischen den immer milder werdenden Bergen hinab.

Während wir den doch recht steilen Weg hinabstiegen, gingen wir an mehreren Eseln vorbei, die uns neugierig anschauten. An der Lagune angekommen, haben wir erst realisiert, dass diese mit einem Damm befestigt war. Wir gingen über den betonierten Damm bis zu den Gebäuden, wo wir dann festgestellt haben, dass niemand hier war. Also liefen wir weiter bis hinunter zum Wasser, wo wir uns einen ebenen Zeltplatz suchten. Wir genossen das unglaublich schöne Wetter sowie die absolute Ruhe und Idylle direkt vor den Bergen des Condoriris. Am Ende der Lagune zur rechten Seite des Ala Derecha befindet sich der schneefreie, schwarze Pico Austria, den wir übermorgen besteigen wollen.

Die Sonne hier in den Bergen geht immer schnell unter, sodass es bereits 19:30 Uhr stock dunkel war. Erst gegen 21 Uhr erhellte sich das Tal durch den aufgehenden Mond. Der Mondaufgang war direkt über der Gebirgskette. Was für ein unglaublich schöner Moment.

Als wir in der Nacht wach geworden sind, sahen wir, dass sich das Zelt von außen immer wieder für eine Sekunde erhellte. Wir konnten das gar nicht zu ordnen und haben erst einmal gerätselt, ob vielleicht ein Auto kommt oder ob das eine Stirnlampe wäre. Verwundert hat es uns vor allem, weil wir kein Geräusch dazu gehört haben. Wir öffneten daher unser Zelt und sahen das es hinter der Gebirgskette ein großes Gewitter gab. Blitze zuckten mit geringen Abständen nach einander auf und erhellten den Himmel bis zu uns. Zum Glück war das Gewitter so weit weg, dass wir keinen Donner hörten.

Tag 2 Vormittag – Laguna Eslovenia

Der Morgen begann schon mit einem herrlichen Sonnenaufgang über der Lagune und der Gebirgskette und erwärmte sofort das Tal. Wir frühstückten genüsslich in der Sonne und packten dann unsere Sachen.

Der Weg verlief auf der linken Seite der Lagune Juri Khota. Zunächst noch entlang der gelben Gräser endete der Weg vor einer Traverse aus Schotter, an deren Ende eine Steinwand hervorragte. Nachdem wir die für uns viel zu steile Traverse überstanden hatten, mussten wir uns einen Weg entlang der Steinwand suchen. Mit unseren großen, schweren und unhandlichen Rucksäcken war das alles, aber nicht einfach. An mehreren Stellen ging es senkrecht ins Wasser hinunter. Da kletterte Attila dann immer vor und ich reichte ihm die 15-17 kg schweren Rucksäcke und kletterte dann erst nach. Zum Glück müssen wir hier nicht zurückwandern! 

Nachdem wir auch das (in unseren Augen) überlebt hatten, kam die nächste Traverse, die komplett an der Lagune entlang verlief. Diese sah von weitem aber schwieriger aus, als sie im Nachhinein tatsächlich war. Der Weg war nämlich relativ breit, sodass wir keine Angst vorm herunterfallen hatten. Er bestand komplett aus Schotter, der wie Schieferplatten aussah. Pflanzen gab es keine mehr, aber wir befinden uns auch auf knapp 5000 m Höhe. Am Ende der Lagune sahen wir einen Wasserfall, der von der Lagune Eslovenia hinunterfiel. Links, parallel zum Wasserfall verlief der Weg hinauf, den wir bereits von hier erahnen konnten und ihn als extrem steil einstuften. Ein bisschen Bammel hatten wir schon davor. 

Je mehr wir uns dem Ende der Lagune näherten, desto weiter entfernte sich der Weg vom Wasser. Wir überquerten eine Steinwand und sahen von dort zum ersten Mal den Weg am steilen Part. Der Weg verlief auf einem aus hellgrauen Steinen bestehenden Wall. Zur rechten Seite war der steile, schwindelerregende Abhang hinunter und zur linken Seite bestand der Hang aus einem Geröllfeld mit großen Steinen.

Der Weg wurde nach ein paar Höhenmeter so steil, dass dieser durch die kleinen Steinchen rutschig wurde. Gerade mit so einem sehr schweren Rucksack muss man sich beim Hinaufgehen stark vom Boden abstoßen. Wenn der Untergrund aber aus diesem losen Steinchen besteht, bekommt man schlechten Halt und rutscht. Dies wurde nach ein paar Metern ziemlich gefährlich. Der Weg verlief zudem so nah an der Kante, dass man echt schwindelfrei sein musste. Da wir auch Sorge hatten, dass der Weg an der Kante unter uns wegbrechen könnten, entschieden wir uns schlussendlich dafür über das Geröllfeld weiterzugehen.  

Und dann erreichten wir eine Stelle an der wieder eine Traverse kam mit einem steilen Abgrund. Aber nicht nur das, sondern der Weg war so schmal, dass man nur einen Fuß vor den nächsten setzen konnte. Für uns war es eigentlich gar kein Weg, sondern einfach nur eine schmale Linie. Beim besten Willen konnten wir uns nicht vorstellen diese Traverse mit den großen Rucksäcken zu gehen.

Attila suchte daher weiter oben nach einem alternativen Weg. Er ließ seinen Rucksack bei mir und folgte dem Wall weiter hinauf und fand dann tatsächlich eine Stelle, die auch nicht toll war, aber immerhin besser als diese Traverse war. Wir gingen also mit den Rucksäcken über die großen Geröllsteine weiter und querte oben die Stelle. Wir waren damit jetzt sehr weit vom Weg entfernt. Da wir jedoch hier nicht wieder hinuntergehen konnten, orientierten wir uns auf der Karte immer parallel zum Weg. Die Unsicherheit, ob wir diesen wieder kreuzen werden, lag schon sehr in der Luft, daher machten wir nur eine kurze Pause, wo wir Nüsse aßen. Dafür wurden wir aber mit einem atemberaubenden Blick auf die unfassbar blaue Lagune belohnt.

Der Untergrund bestand jetzt überwiegend aus hartem Gestein, der total interessante Farben und Muster annahm. Nach einer weiteren viertel Stunde tauchte vor uns dann endlich die Lagune Eslovenia auf, die komplett umzingelt war von den rauen, kahlen Bergen. Zur linken Seite befand sich der Pico Eslovenia, nach dem die Lagune benannt wurde. Nur noch ein kleiner Gletscher ist übriggeblieben, welcher einst bis zur Lagune hinunterverlief.

Rechts vom Pico Eslovenia, am Ende der Lagune, ragte eine schwarze Steinwand senkrecht hinauf, an deren oberes Ende der riesige Gletscher Ventanani, gethront vom gleichnamigen Berg, zu sehen waren. Der Gletscher war so groß, dass er bis zum Nevado Condoriri verlief. Auch hier erkannten wir, wie vor ein paar Jahren, der Gletscher ebenfalls über die Felswand bis zur Lagune Eslovenia geragt haben muss. Heute sieht man, wie das Wasser am Anfang des Gletschers hinausfließt und als Wasserfall die steile Felswand hinunter bis in die Lagune Eslovenia fällt. Das Wasser durchströmt dabei einmal die Lagune und fließt auf der anderen Seite zwischen uns und dem Pico Austria als milchig-blauer Fluss vorbei. Nur wenige Meter später rauscht der Fluss den steilen Hang hinunter in die Lagune Juri Khota.

Der Pico Austria schaute uns mit seiner aus mehreren Schichten bestehenden harten Felswand an. Die parallel verlaufenden Schichten waren fast senkrecht nach oben gerichtet, sodass hier einige Kräfte gewirkt haben müssen. Wenn wir morgen den Pico Austria besteigen wollen, müssen wir genau über diese Wand klettern, was wir uns von hier absolut nicht vorstellen können. Aber darüber machen wir uns Gedanken, wenn es soweit ist. Jetzt müssen wir erstmal einen Weg hinunterfinden.

Und zum Glück war es nicht schwer einen Weg zu finden, sodass wir schneller am Wasser waren als wir vorher dachten. Das schwierige lag nun darin einen ebenen Zeltplatz zu finden. Es gab nur wenig Platz, der überhaupt in Frage kommen könnte. Und dann waren da noch überall diese unendlich vielen Steine. Wir suchten uns halb zu Tode. Auf der gegenüberliegenden Seite sah alles etwas flacher aus, aber dazu müssten wir den Fluss queren, der zu dieser Uhrzeit aber einen viel zu hohen Wasserstand hatte. Am Nachmittag ist der Wasserstand, aufgrund der höheren Temperaturen und der daraus resultierenden stärkeren Gletscherschmelze, höher als am Morgen. Aktuell konnten wir den Fluss also nicht queren.

Wir entschieden uns dafür direkt am Fluss das Zelt aufzubauen, weil es dort am ebensten erschien. Ganz gefiel mir der Gedanke nicht, denn wir schliefen somit direkt an den mit Geröll übersäten Hängen, aber eine andere Möglichkeit gab es hier nicht. Denn egal, wo wir das Zelt aufbauen würden, wir würden uns immer unter einem Hang befinden. Hoffen wir einfach, dass kein Steinschlag eintritt und auch kein Erdbeben kommt, dass hier alles zum Rollen bringen würde. Wir räumten also als erstes die vielen, vielen, vielen Steine weg, wonach wir tatsächlich Rückenschmerzen hatten, weil wir die Steine die gesamte Zeit über schön aus dem Rücken angehoben haben. Das war natürlich äußerst dumm und unnötig.

Nachdem wir das Zelt aufgestellt hatten, mussten wir die Zeltseile mit den schweren Steinen befestigen, weil kein Hering in den Boden hineinging. Zudem bauten wir aus den Steinen einen Windschutz um das Zelt. Sollte hier oben auf 5100 m ein Unwetter über uns ziehen, dann wird der Wind bestimmt nicht mild sein. Das war noch mal eine anstrengende Aufgabe und hat viel Zeit gekostet. Aber es gab uns ein gewisses Gefühl an Sicherheit.

Tag 2 Nachmittag – Glaciar Ventanani

Am frühen Nachmittag waren wir mit allem fertig, sodass wir noch Zeit hatten den Gletscher zu besichtigen. Wir gingen an der linken Seite der Lagune entlang. Wieder nur eine Traverse. Diese war aber direkt am Wasser und wir hatten keine Rucksäcke auf, die uns beim Sturz ins Wasser hätten hinunterziehen können. Es ist schon interessant, dass der Weg nun so einfach für uns war. Würde exakt derselbe Weg 100 m weiter oben verlaufen und wir einen schweren Rucksack tragen, würden wir wieder echte Probleme haben.

Wir gingen vorbei am Pico Eslovenia und mussten den flachen Fluss queren, der von seinem Gletscher hinunterfloss. Der Weg endete kurz vor der senkrechten Felswand, an dem der Wasserfall hinunterfloss. Zur linken Seite der Felswand war ein aus Schotter bestehender Hang. Wir sahen Steinmännchen, denen wir bis nach ganz oben folgten.

Oben angekommen, erstreckte sich vor uns die milchig-blaue Lagune, an deren Ende die Gletscherwand des Ventanani zu sehen war. Eine mehrere Meter hohe, senkrechte Wand aus Eis schaute uns an. Wir gingen näher an den Gletscher heran, der sich nach oben bis zum Nevado Condoriri erstreckte. Er war einfach wunderschön. Am liebsten wären wir auf den Gletscher geklettert und noch weiter dem Gletscher hinauf gefolgt, aber das ist natürlich zu gefährlich wegen der Gletscherspalten, vor allem hier vorne an der Abbruchkante. Wir hörten bereits wie das Wasser durch die Spalten floss.

Einzelne Eisbrocken sind als Überbleibsel am Hang zurückgeblieben, die langsam vor sich hin schmelzten. Unzählige Wassertropfen liefen oder tropften von diesen Eisbrocken hinab und bildeten stellenweise lange Nasen aus Eis. Traurigerweise werden in ein paar Wochen die Eisbrocken wahrscheinlich nicht mehr zu sehen sein und der Gletscher rückt damit immer weiter nach hinten.

Wir blieben eine Stunde hier und beobachteten den Gletscher bis ins kleinste Detail. Wir spekulierten darüber, wie man den Nevado Condoriri von dieser Seite besteigen könnte. Wir mussten jedes Mal die Augen zu kneifen, wenn die Sonne hinter den Wolken hervorkam, denn dann erstrahlte der Gletscher in so einem hellen weiß, dass wir mehr als dankbar über unsere Sonnenbrillen mit hohem UV-Schutz waren.

Noch Stunden lang hätten wir hier bleiben können und einfach die Stille und die Reinheit der Natur genießen können. Leider haben wir aber unsere Stirnlampen vergessen, sodass wir im Hellen unser Zelt erreichen mussten. So drehten wir langsam wieder um. Auf dem Rückweg machten wir noch einen kleinen Abstecher zu der Stelle, an der das Wasser aus der Lagune als Wasserfall hinunterfällt. Wir waren überrascht darüber, wie viel Wasser hier jede Sekunde hinunterfließen, aber schlussendlich ist es ja auch dieselbe Menge, die an unserem Zelt als Fluss entlang strömt und das ist alles, aber nicht wenig. Gern würden wir in die Zukunft gucken, um zu sehen, wie der Gletscher sich verändern wird.

Bevor wir hinunter gingen, genossen wir ein letztes Mal den Weitblick. Wir konnten bis zum Ende des Tals gucken und sahen damit sowohl die Lagune Eslovenia als auch die Lagune Juri Khota.

Wir waren ziemlich zügig unterwegs, sodass wir noch vor Sonnenuntergang an unserem Zelt ankamen. Wir kochten uns eine heiße Suppe und beobachteten dann den farbintensiven Sonnenuntergang über dem Tal. Ein perfekter Abschluss dieses wunderbaren Tages.

Auch in dieser Nacht wurden wir wieder von den Blitzen geweckt. Das Unwetter wirkte hier oben deutlich näher, aber da wir keinen Donnern hörten, schliefen wir wieder beruhigt ein.

Tag 3 – Rückkehr

Obwohl wir auf 5100 m geschlafen haben, war die Nacht gut. Wir hatten weder Kopfschmerzen, noch andere Anzeichen von Höhenkrankheit. Unsere dicken Schlafsäcke hielten uns auch kuschelig warm, sodass wir nicht merkten, wie kalt die Nacht war, denn als wir aus dem Zelt stiegen, sahen wir Eiskristalle darauf liegen.

Heute lag der schwerste Part vor uns, denn wir wollen über die steile Felswand hinauf zum Pico Austria klettern. Da wir von hier unten keinen Weg sahen, entschieden wir uns dazu erst einmal ohne die schweren Rucksäcke zu gehen. Dazu mussten wir zunächst den Fluss queren. Wir suchten uns ein paar größere, noch tragbare Steine und reihten die zu einem kleinen Weg durch den Fluss aneinander. Das hat tatsächlich gut funktioniert und wir kamen trockenen Fußes auf der anderen Seite an. Wir folgten danach der Karte und sahen unterwegs Steinmännchen, an denen wir uns orientierten. Der Weg war ziemlich versteckt und verlief von der rechten Seite kommend genau in der Mitte der senkrecht stehenden Schichten entlang. Dieser Part war einfach zu bewandern, worüber wir uns sehr freuten.

Und dann standen wir vor dem oberen Part der senkrecht stehenden Schichten. Wir befanden uns sogar genau auf dem Weg, der uns auf der Karte angezeigt wurde. Von hier aus sahen wir sogar auf der obersten Kante der Schichten ein Steinmännchen, das uns signalisierte, dass wir hier richtig sind. Nur leider verlief der Weg nun als Klettereinheit weiter. Nicht einfach gerade über uns hoch, das wäre ja noch gegangen mit dem Weg unter uns, der uns Sicherheit gegeben hätte, sondern schräg entlang, sodass wir über den Abgrund hätten gehen müssen. Eine Sicherheitsöse haben wir entdeckt, die man mit einem Seil hätte nutzen können, aber wir hatten leider keines dabei.

Diesen Weg kann man sicherlich gehen und würden wir bestimmt auch auf einer Tagestour mit kleinem Rucksack machen, aber mit unseren großen Rucksäcken war es einfach viel zu unsicher hier eine Balance halten zu können. Sobald man sich mit dem schweren Rucksack zu weit nach hinten lehnen würde, um z.B. nach dem nächsten Griff zu suchen, kann man schon das Gleichgewicht verlieren. Hier sprechen wir schon aus mehreren Erfahrungen, die zum Glück immer gut ausgegangen sind, aber wir wissen nun auch was geht und was nicht mehr geht. Und diese Stelle geht für uns mit den großen Rucksäcken nicht mehr.

Wir schauten uns die Felswand noch von allen erreichbaren Seiten an und versuchten einen alternativen Weg zu finden, aber nichts konnte uns so wirklich überzeugen. Nach etwa 1,5 Stunden entschieden wir uns dann dafür, dass wir aus Sicherheitsgründen lieber wieder umdrehen sollten. Wir gingen also ziemlich traurig zu unserem Zeltplatz zurück, nahmen unsere Rucksäcke und schleppten uns den gesamten Weg zurück. Aber so ist es halt manchmal beim Bergsteigen, man muss seine Grenzen kennen und Respekt vor den Bergen haben.

An der Lagune Juri Khota haben wir eine Pause gemacht, Wasser gefiltert und eine heiße Suppe gekocht, während wir darüber diskutierten, ob es die richtige Entscheidung war. Wahrscheinlich schon, denn sollte etwas passieren, kann uns hier mitten im Nichts auf jeden Fall niemand helfen. Es gibt nicht nur keinen Handyempfang, sondern auch keine Bergrettung und keine Hubschrauber. Wir befinden uns schließlich nicht in den Alpen, sondern in Bolivien.

Wir entschieden uns dafür nicht die Nacht hier zu bleiben, sondern zurück zur Straße zu gehen, wo uns der Taxifahrer abholen kann. Die Pause hielten wir also so kurz wie möglich und gingen dann auch schon weiter.

Wir wanderten über den Damm hinweg, immer höher und höher. Und dann nach einer halben Ewigkeit erst merkten wir, dass der Weg uns gar nicht bekannt vor kam und das obwohl wir den Weg bereits kennen müssten, der uns zumal als nicht besonders schwer in der Erinnerung blieb. Die Natur hat uns mal wieder einen Strich durch die Rechung gemacht. Wir schauten auf die Karte und sahen, dass wir falsch waren. Eigentlich verläuft der Weg rechts um den Berg herum, sodass man den Berg nicht besteigen müsste. Wir aber befanden uns linksseitig und gingen genau auf den Berggipfel zu.

Die Aufgabe lautete: wieder den Wanderweg finden. Attila ging weiter bergauf mit der Hoffnung von dort aus in unser bevorstehendes Tal absteigen zu können. Für mich hingegen war das viel zu unsicher, weil ich nicht wusste, wie steil der Abstieg dort sein wird, sodass ich mich dazu entschieden habe den Berg wieder hinabzusteigen, um den originalen Weg zu finden. Nach etwa einer Stunde trafen wir uns auf der anderen Seite des Berghanges wieder.

Wir wanderten zusammen den restlichen Weg. Die Wolken über uns zogen langsam dunkel zusammen, sodass wir uns beeilten. Am letzten Pass angekommen, sahen wir wieder die Lagune Tuni und den Huayna Potosí. Hier hatten wir endlich Handyempfang und konnten unseren Taxifahrer rufen. Da wir ungefähr wussten, wie lange dieser brauchen wird, machten wir noch eine lange Pause bevor wir den letzten Abstieg in Angriff nahmen. Fast zeitgleichen kamen der Taxifahrer und wir am Treffpunkt an.

Kaum zu glauben, dass die Wanderung schon wieder vorbei war. Wir waren zwar ein bisschen enttäuscht darüber, dass wir den Pico Austria nicht bestiegen haben, freuten uns aber schlussendlich über die hinterlegte Tour mit all seinen Schönheiten. Wir konnten alle Berge ringsherum sehen und waren sogar direkt am Gletscher Ventanani, wo die geführten Touren zum Pico Austria gar nicht hingehen. Wir waren komplett alleine in mitten der Anden und hatten zwei wunderschöne Nächte unter Sternenhimmel am Ufer von türkisblauen Bergseen verbringen dürfen.

Min. Höhe: 4520 m
Max. Höhe: 5040 m
Anstieg: 760 m
Länge (nur hoch): 10,9 km
Zeit: 3 Tage
Lage: -16.1777, -68.2512
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