Wanderung zum Fuße des Cerro El Plomos
Sechs Wochen sind wir nun in Santiago und können dessen Hausberg, den El Plomo, aus allen uns bisher besichtigten Winkeln aus der Ferne betrachten. Der mit 5424 m höchste Berg in der Nähe von Santiago gehört zur Hochgebirgskette Sierra Esmeralda und befindet sich etwa 46 km nordöstlich von Santiago. Durch seine gute Erreichbarkeit von Santiago aus wird der El Plomo oft zur Akklimatisierung von Sechstausender wie zum Beispiel dem Aconcagua, dem höchsten Berg außerhalb Asiens oder dem Ojos del Salado, dem höchsten Vulkan der Erde, genutzt. Aufgrund des leichten Weges ist der El Plomo einer der am häufigsten bewanderten Fünftausender in Chile.
Der El Plomo ist nicht nur heute ein Anziehungspunkt für Wanderer und Radfahrer, sondern bereits vor über 1500 Jahre wurde der El Plomo von den Inkas bewandert, die diesen imposanten Berg als Heiligtum und Wächter auserwählt haben. 1954 wurde auf 5000 m von zwei Maultiertreibern ein 500 Jahre altes eingefrorenes Kind mit reichen Aussteuern gefunden, welches als Opfergabe zur Besänftigung der Götter diente. Noch heute kann die Stätte bei der Besteigung des El Plomos besichtigt werden.
Der El Plomo besitzt heute nur noch ein Überbleibsel von einer einst massiven Gletscher-Schicht. Unser Freund Álvaro vom DAV erzählte uns, dass, als er früher den El Plomo bestieg, die Besteigung noch eine richtige Expedition mit Eispickel, Seil und Steigeisen war. Heute, 20 Jahre später, ist davon nicht mehr viel übriggeblieben. Die Gletscher sind stark geschmolzen, sodass nur noch eine gute Kondition und Akklimatisierung für die Besteigung gebraucht wird. Der Weg auf den El Plomo ist gut ausgebaut und bietet kaum technische Schwierigkeiten. Und da der kuppelförmige Berg recht flach ansteigt, wurde uns erzählt, dass der El Plomo sogar mit dem Fahrrad bestiegen werden kann. Eine für uns unglaubliche Vorstellung.
Vorbereitungen
In den letzten Wochen haben wir verschiedene Tagestouren zum Cerro Cortadera, Cerro Carbón, Cerro Manquehue, Cerro Provincia und Cerro Minillas unternommen, um uns zu akklimatisieren und auch um Kondition aufzubauen.
Für die Mehrtageswandertour haben wir im Vorfeld herzhafte Müsliriegel gebacken, die wir tagsüber als Snack essen werden. Dazu wird es salzige Nüsse und getrocknetes Obst, sowie Schokolade und Kekse geben. Das Frühstück wird aus Müsli bestehen, welches wir mit dem Kocher und Wasser erwärmen werden. Als warmes Abendessen haben wir Fadennudeln mit Gemüsebrühe, Couscous und Ramen-Nudeln im Repertoire. Auf letzteres sind wir schon sehr gespannt, da wir damit noch keine Erfahrung gemacht haben, aber es ist leicht und gut portionierbar.
Farellones
Die Nacht verbrachten wir bei unseren Schweizer Freunden Theo und Antonia, die wir an Ostern im Cajón del Maipo kennengelernt haben. Die beiden haben uns mit einem ausgiebigen Frühstück gut für unsere Reise gekräftigt. Nach dem Frühstück nahmen wir den Bus und fuhren bis zum Stadtrand von Santiago (Plaza San Enrique). Ab hier nahm uns ein nettes Pärchen, welches gerade Urlaub in der Region machte, mit dem Auto mit. Eigentlich lag ihre Unterkunft nur auf der halben Strecke, dennoch brachten sie uns liebenswürdigerweise bis nach Farellones, wo wir eine Unterkunft für zwei Nächte zur Akklimatisierung auf 2350 m gebucht haben.
Farellones ist ein kleines Dorf, welches unterhalb der drei Skigebiete La Parva, El Colorado und Valle Nevado liegt, die zusammen den größten Skiverbund der Südhalbkugel bilden. Die meisten Häuser wurden hier aus Holz gebaut und geben dem Dorf einen eigenen Charakter. Auffällig sind hier in der ansonsten kargen, sandigen Landschaft die angepflanzten Bäume, die sich jetzt im Herbst herrlich gelblich färbten.
Bei einem Herbstspaziergang durch Farellones hatten wir bereits einen guten Blick auf unsere morgige Tour. Wir sind bereits voller Vorfreude auf die vor uns liegende Mehrtageswandertour zum Basislager, der Federación, von wo aus wir zunächst den Cerro Leonera besteigen wollen, der als Akklimatisierung für die darauffolgende Besteigung des Cerro El Plomo dient. Weitere Fotos von Farellones findest du hier.
Tag 1
Um 6 Uhr klingelte der Wecker. Wir lagen in unserem warmen, kuscheligen Bett und wollten dieses am liebsten gar nicht verlassen, da der Wetterbericht für heute Morgen -7°C, gefühlt wie -12°C, vorausgesagt hatte. Aber es nützt ja nichts. Aufstehen, ein letztes Mal duschen gehen, frühstücken, Sachen packen und los ging es um 8 Uhr. Wir gingen zur Hauptstraße und hofften auf ein Auto, das uns bis La Parva mitnehmen würde, damit wir uns 2 Stunden Wanderung auf der asphaltierten Straße sparten. Wir hatten Glück! Ohne warten zu müssen, nahmen uns zwei junge Frauen mit. Zwar nur bis zur Kreuzung La Parva und El Colorado, aber immerhin schon einige Höhenmeter, die wir nicht wandern mussten. Zwei vorbeifahrende Arbeiter sahen uns und hielten direkt an und nahmen uns bis La Parva mit. Na das hatte ja reibungslos geklappt! Jetzt konnte es also losgehen.
Unser heutiges Wanderziel war die Laguna Piuquenes, die sich oberhalb des Passes Franciscano befindet. Wir waren uns jedoch nicht sicher, ob die Lagune wirklich mit Wasser befüllt ist, denn es hatte seit September letzten Jahres nicht mehr geregnet. Die Landschaft war trocken, sehr trocken sogar. Der Boden war schwarz, sandig bis schottrig und durch die Trockenheit extrem rutschig. Der Weg zum Pass schlängelte sich immer am Skilift und den im Winter mit dickem Schnee bedeckten Pisten des Skigebiets vorbei. Um ehrlich zu sein, war der karge Weg zu dieser Jahreszeit nicht so schön. Sollte der Skilift laufen, würden wir empfehlen diesen Part des Weges einfach zu überspringen.
Nach drei Stunden erreichten wir den Pass, von wo wir aus einen herrlichen Weitblick auf Santiago, dass wieder unter den Wolken versteckt war, hatten. Die schwarze Silhouette des Manquehue ragte hoch aus den Wolken hervor. Auch der Cerro Provincia war von hier aus zu sehen. In Gedanken versunken, erinnerten wir uns an unsere bisherigen wunderbaren Wandertouren.
Wie bereits befürchtet war die Laguna Piuquenes komplett ausgetrocknet. Weit und breit war kein Wasser zu sehen. Wir entschieden uns also dafür weiter zu gehen. Unterwegs trafen wir drei Chilenen. Wir redeten darüber, dass es hier kein Wasser gab und sie erzählten uns, dass ein größerer Fluss von den Bergen kommt. Es gibt einen Zeltplatz, den Piedra Numerada, direkt am Wasser. Das war eigentlich unser Schlafplatz für Morgen, dachten wir uns. Weiterhin sagten Sie uns, dass dort gerade das Militär ist und daher mindestens 10 Zelte aufgebaut sind. Hmm na toll. Da ist man schon in der Natur unterwegs und dann ist man doch nicht alleine. Wir verabschiedeten uns und gingen weiter. Auf halber Strecke zum Piedra Numerada erblickten wir einen kleinen Fluss, der nicht auf der Karte eingezeichnet war. Klasse! Wir suchten glücklich einen passenden Zeltplatz und bauten unser Quartier auf. Zwei Wanderer mit Kletterausrüstung gingen an uns vorbei und erzählten uns, dass sie über den Gletscher auf dem Plomo klettern wollen. Sie wollen direkt heute noch bis zum Basislager gehen. Wooow wir sind begeistert, denn bei uns fingen schon jetzt auf 3500 m die Kopfschmerzen an.
Nachdem wir das Zelt aufgebaut und Wasser gefiltert hatten, kochten wir unser erstes Abendessen: Couscous mit Gemüsebrühe. So langsam gingen die Kopfschmerzen weg und uns fiel auf, dass wir tagsüber einfach zu wenig gegessen haben. Da müssen wir also die nächsten Tage besonders drauf achten: genügend zu essen und zu trinken!!! Bereits um 17 Uhr ging die Sonne unter und es wurde innerhalb kürzester Zeit bitter kalt. Die ersten Sterne erschienen am klaren Nachthimmel. Schnell verkrochen wir uns in den Daunenschlafsack.
Tag 2
Nach einer kalten Nacht zeigte das Thermometer um 7 Uhr morgens -5°C im Zelt an. Brrr. Kalt! Wir warteten in unseren warmen Daunenschlafsäcken bis die Sonne um 8:15 Uhr aufgegangen ist und mit ihren Strahlen unser Zelt erwärmte. Herrlich waren diese warmen goldenen Sonnenstrahlen. Wir gingen zum Fluss, um Wasser zu filtern, doch dieser war fast vollständig eingefroren. Ein etwa 15 cm kleiner Wasserüberlauf sorgte dafür, dass eine kleine Wasserfläche eisfrei blieb, wo wir unser Wasser filtern konnten.
Wir erwärmten unser Müsli, packten unsere Sachen und das Zelt und gingen weiter. Heute lag nur ein 1,5 Stunden langer Weg vor uns, denn wir wollten noch eine Nacht auf 3500 m akklimatisieren. Am Piedra Numerada erblickten wir das Militärcamp und entschieden uns dafür, dass wir noch ein Stück entlang des Flusses weitergehen sollen, wo wir dann auch einen vom Militär nicht einsehbaren Zeltplatz direkt am Fluss gefunden haben.
Von hier aus hatten wir einen ersten Blick auf den Cerro El Plomo, wohingegen der Cerro Leonera sich noch schüchtern versteckte. Mit dem Fernglas konnten wir bereits die ersten Abschnitte der Plomo-Route erkennen und gedanklich durchgehen. Es sah machbar aus, was uns sehr erleichterte. Wir freuten uns sehr auf die beiden Touren.
Da wir bereits inmitten der hohen Bergen waren, ging die Sonnen noch früher unter als gestern. Zudem fühlte es sich für uns an, als ob die Nacht noch kälter geworden ist. Beide lagen wir stundenlang zitternd im Daunenschlafsack wach. Warum werden wir nicht warm? Und dann… Mist! Ich muss pinkeln, aber ich will nicht! Es ist zu kalt! Ich warte noch…. OK… ich kann nicht mehr. Nach kurzer Zeit, quälte man sich also doch aus dem Schlafsack, zog die kalten Schuhe an, machte das Zelt auf und wurde von der Schönheit der Natur überwältigt. Der hellleuchtende Vollmond, umgeben von einem aus Eiskristallen bestehenden, weißschimmernden Halo, strahlte uns in der ansonsten klaren sternenbehangenen Nacht entgegen. Von der Schönheit fasziniert, vergaß man die Kälte um sich herum und guckte dem Phänomen minutenlang wie hypnotisiert zu bis es sich sanft im Nichts wieder auflöste.
Tag 3
Wir waren sehr aufgeregt, denn heute ging es zum 4100 m hohem Basislager, der Federacion, von wo aus unsere Tageswanderungen zum Cerro Leonera und Cerro El Plomo starten werden. Noch bevor die ersten Sonnenstrahlen über die Berge aufstiegen, packten wir zügig unsere Sachen und unser Zelt, denn es war kalt. So kalt, dass selbst im Zelt unser Wasser in den Flaschen eingefroren war. Das warme Müsli und der heiße Tee stärkten und wärmten uns.
Es ging zunächst im kalten Schatten der Berge an einem eingefrorenen Wasserfall vorbei, bei dem wir noch leicht das Wasser immer Inneren fließen hörten. Auf der gegenüberliegenden Seite sahen wir wie die Sonne sich immer weiter zu uns vorkämpfte bis sie uns nach zwei Stunden endlich erreicht hatte. Wir machten eine Pause, um die Strahlen aufzusaugen und blickten zurück in das Tal, durch das sich der zum größten Teil eingefrorene Fluss Estero del Cepo entlanghangelte. Die Landschaft war kahl, ohne Bäume und nur mit wenigen Sträuchern nahe dem Wasser. Es wirkte auf den ersten Blick recht trostlos, doch wenn man sich Zeit nimmt und die Landschaft genauer betrachtete, erschien sie einem malerisch mit ihren unzähligen Farben im Gestein. Farben von weiß über rosa, rot, braun, grün, blau, grau bis hin zu schwarz waren in allen Spektren zu finden. Dazu die Gesteinsschichten, die sich in alle Richtungen erhebten.
Nach weiteren 2 Stunden erreichen wir glücklich um 15 Uhr das Basislager, welches wir erst auf den letzten Metern erblickt hatten. Wir gingen an einigen mit Steinen gut ausgebauten Zeltplätze vorbei und entdeckten wenige Meter weiter die Hütte Refugio Cristóbal Bizzarri Lyon, welche 2019 mit 12 Schlafplätzen erbaut wurde. Benannt wurde sie nach dem chilenischen Bergsteiger, der 2017 mit 23 Jahren beim Bergsteigen auf dem Cordillera Blanca in Peru durch eine Lawine verunglückte. Wir betraten die Hütte und sahen, dass bereits 3 Wanderer hier ihr Lager aufgebaut hatten. Leider ist keiner von Ihnen da. Im sonnigen Fenster sahen wir einen großen Plastikbehälter mit zwei kleineren Eisbrocken dadrinnen stehen, die aufgrund der Kälte immer noch festgefroren waren. Über die Eisbrocken wundernd verließen wir die Hütte, um den Fluss zu suchen. Doch egal in welche Richtung wir gingen, sahen wir keinen Fluss. Wir guckten auf die Karte, die uns zeigte, dass wir direkt im Fluss Estero del Cepo standen und bei genauerem Hinblicken erkannten wir dann desillusioniert das ausgetrocknete Flussbett um uns herum. Wie kann das sein? Wir sind doch die gesamte Zeit am Fluss entlanggelaufen. Wo ist denn das Wasser auf einmal hin?
Die Sonne neigte sich den Berggipfeln immer näher entgegen. Wir haben nur noch etwa 15 Minuten bis die Sonne untergeht. Was machen wir denn jetzt? Suchen wir weiter Wasser oder gehen wir herunter? Panik stieg in uns auf, denn wir mussten innerhalb kürzester Zeit eine für die Tour existenzielle Entscheidung treffen. Wir überlegten hin und her und es ergaben sich schlussendlich in dieser kurzen Zeit nur die 4 Möglichkeiten für uns:
- Sahen wir auf der Karte noch einen Nebenfluss im Nachbartal aus Richtung des Cerro Leonera kommend, der in den Estero del Cepo fließt. Wir könnten den ersten Anstieg zum Basislager des Cerro Leonera machen und gucken, ob dort Wasser existiert. Álvarus, unser Freund vom DAV, erzählte uns jedoch im Vorfeld, dass es dort seit Jahren kein Wasser mehr geben soll. Lohnt sich dann überhaupt der Aufwand, wenn die Chance bei 0 liegt? Aber das Wasser muss aus diesem Tal kommen, wenn unser Fluss vertrocknet ist. Der Weg hin- und zurück soll laut Karte drei Stunden dauern. Es wäre dann also schon 19 Uhr. Sollte es kein Wasser geben, müsste man dann in der kalten und dunklen Nacht absteigen. Keine gute Vorstellung.
- In der Hütte gab es gefrorene Eisbrocken und wir wissen, dass zwei Wanderer zum Gletscherklettern da sind und dementsprechend mit Eispickel ausgerüstet sind. Sollten wir Eis suchen gehen, welches wir im Anschluss mit dem Gaskocher schmelzen? Aber würde unser Gas dafür überhaupt noch ausreichen? Die Frage ist aber auch, wie wir ohne Eispickel dieses aus dem Eis gelöst bekommen? Was ist, wenn wir erst gar kein Eis finden? Dann endet es wie Möglichkeit 1 und wir gehen im Dunkeln bergab.
- Wir haben beide zusammen noch 1 Liter Wasser. Wir könnten hier schlafen und morgen früh bergab steigen. Aber auf dieser Höhe mit nur so wenig Wasser, bedingt dies die Höhenkrankheit enorm. Zudem ist Wasser, in Form von Tee und warmes Abendessen, das Einzige was einen wirklich für einen Moment erwärmt. Wir blicken auf die Berge und suchen die anderen Wanderer, aber es weder jemand zu sehen, noch zu hören. Es kann also noch ewig dauern bis sie hier ankommen. Und dann werden Sie wahrscheinlich auch nur gerade für sich ausreichend Wasser bzw. Eisbrocken dabeihaben.
- Wir sehen ein, dass die vorherigen Möglichkeiten zu viele Risiken bergen und brechen die Tour an dieser Stelle ab. Wenn wir jetzt umdrehen, können wir die Tour bergab noch in der Dämmerung gehen.
Die 15 Minuten sind vorbei. Die Sonne ist hinter den Bergen untergegangen. Wir mussten jetzt eine Entscheidung treffen! Um 16 Uhr traten wir mit blutigem Herzen, in Gedanken versunken nach gerade mal einer Stunde im Basislager wieder den Rückweg an. Jeder geht für sich, aber schnellen Schrittes. Haben wir die richtige Entscheidung getroffen? Gab es noch eine andere Option, an die wir nicht gedacht haben? Hätten uns die drei Chilenen am ersten Tag nicht darauf hinweisen können, denn immerhin haben wir doch schon über Wasser gesprochen? Tausende Gedanken und Fragen gingen uns durch den Kopf, währenddessen wir aus der Ferne den Fluss an uns vorbeifließen sahen. Wie kann das sein? Es muss da doch Wasser geben!
Nach dem wir wieder 700 Hm bergab gegangen sind, haben wir einen kleinen Platz am Fluss gefunden, für den gerade so unser Zelt reichte. Zügig stellten wir das Zelt im Dunkeln auf, gingen Wasser filtern und tranken erstmal einen warmen Tee. Puuuh das tat gut. Wir waren regelrecht ausgetrocknet, da wir tagsüber jeweils nur 3 Liter Wasser dabeihatten. Den letzten Liter Wasser konnten wir auf dem Rückweg nicht mal mehr trinken, weil er im Schlauch des Wasserbeutels und der Flasche eingefroren ist.
Tag 4
In der Nacht lagen wir dick eingepackt in unseren Schlafsäcken noch stundenlang wach und sind alle Szenarien immer und immer wieder durchgegangen. Schlussendlich haben wir uns dazu entschlossen heute noch einmal zum Basislager zu wandern. Wir wussten jetzt, dass das Wasser aus dem Nachbartal kommen muss. Aber weiterhin glaubten wir Álvaro, mit seiner jahrelangen Erfahrung, dass es am Basislager vom Cerro Leonera kein Wasser geben wird. Daher werden wir nicht dort hingehen. Gestern haben wir aber vor Ort einen Weg von der Federación bergab gesehen. Vergleichend mit der Karte geht dieser Weg direkt zur Kreuzung unseres Tales mit dem des Nachbartales und damit genau zu dem Punkt, wo der Nebenfluss in den Estero del Cepo fließt. Das ist heute unser Ziel!
Zunächst festüberzeugt, dass wir heute Wasser finden werden, gingen wir also erneut hoch zum Basislager. Während des Wanderns kamen uns dann viele Gedanken und Eventualitäten in den Kopf, die uns immer unsicherer machten. Wenn wir an der besagten Stelle kein Wasser finden, welche anderen Optionen haben wir dann? Wo werden wir noch nach Wasser suchen? Werden wir heute die anderen Wanderer treffen? Welche Erfahrungen haben sie gesammelt? Wenn es kein Wasser gibt, sondern nur Eis, würde dann unser Gas überhaupt ausreichen? Sehr wahrscheinlich nicht, denn wir haben aufgrund der Kälte und der Höhe bereits sehr viel Gas verbraucht. Wie würden wir damit dann umgehen?
Um 12 Uhr erreichten wir das Camp. Die Sonne strahlte uns funkelnd mit einem sagenhaften Halo herum an. Wir blickten auf den El Plomo, wo sich die Sonne glänzend auf dem Gletscher widerspiegelte und gingen dann erneut zur Hütte. Beunruhigt mussten wir feststellen, dass die Hütte verlassen war. Keine Menschen, keine Schlafsäcke. Damit haben wir nicht gerechnet! Wir haben gehofft die anderen Wanderer anzutreffen, um mit ihnen Erfahrungen und Wissen auszutauschen. Aber nicht mal eine kleine Notiz, mit einem Hinweis auf Wasser, ist übriggeblieben.
Wir hatten vier Stunden Zeit bis die Sonne wieder unterging. Wir folgten also dem von der Federación bergab führenden Weg, der uns tatsächlich zu der Stelle führte, die wir gestern Nacht im Zelt auf der Karte gesehen haben. Aber große Ernüchterung machte sich breit, als wir am Abhang standen und einen schmalen eingefroren Wasserfall aus dem Nachbarstal tief unter uns sahen. Das kann ja jetzt nicht wahr sein, rief es wütend aus unserem Mund! Der Hang war so steil, dass wir nicht hinunterkonnten. Da standen wir also übermannt von der Situation. Schweren Schrittes gingen wir langsam zurück, vorbei am Basislager weiter in die Berge rein mit der Hoffnung doch irgendwo noch etwas Eis oder Wasser zu finden. Nach drei Stunden kehrten wir ohne jeglichen Tropfen Wasser oder Eis zu finden, deprimiert zum Basislager zurück. Wir trafen dort überraschenderweise auf zwei Frauen, die einen Ausflug zum Basislager gemacht haben und direkt wieder umdrehen wollten. Sie erzählten uns das sie im Frühjahr hier waren und es 200 Hm weiter oben Richtung El Plomo einen See, den La Hoja, gab. Zu der Zeit führte aber auch der Fluss Wasser. Da aber Álvaro meinte, dass es auch dort oben kein Wasser mehr geben soll, kam uns diese Option bisher nicht in den Kopf.
Es ist mittlerweile halb 4 und wir standen am gleichen Punkt wie am Tag zuvor. Gehen wir jetzt noch die 200 Hm hinauf? Das sind wieder 1,5 Stunden hin und zurück. Wir überlegten lange hin und her. Es ist jetzt Ende Sommer. Soll es wirklich da oben einen See geben? Vielleicht ist er sogar ausgetrocknet. Einen Gletscher an dieser Stelle konnten wir von hier unten nicht sehen. Und was dann im Endeffekt das ausschlaggebende Argument gegen die Wanderung zum La Hoja war, war, dass bereits jetzt am Zeltlager auf 3500 Hm unser Wasser in den Flaschen im Zelt gefroren ist. Wie soll es da oben 1000 Hm höher also flüssiges Wasser geben? Selbst wenn wir Eis finden, wie sollen wir das ohne Eispickel ausgebrochen und dann noch zum Basislager heruntergetragen bekommen? Wie sollte das vereinbar sein mit der Besteigung des El Plomos, wenn wir morgens um 4 Uhr die Wanderung starten? Wir brauchen zum Wandern 6 Liter Wasser, für das Abendessen und für das Frühstück, sowie auch für den Tee brauchen wir ebenfalls Wasser. Wie viele Eisbrocken müssen wir da herunterschleppen, um damit eine Tour durchführen zu können? Wir mussten also einsehen, dass auch La Hoja keine Option für uns war. Wie wir es auch drehten und wendeten, mussten wir einsehen, dass die Besteigung des Cerro Leonera und Cerro El Plomo unter diesen Bedingungen der extremsten Trockenheit nicht umsetzbar für uns war. Wir nahmen also unsere Rucksäcke und gingen bedrückt wieder bergab. Dieses Mal endgültig.
Unterhalb des eingefrorenen Wasserfalls schlugen wir ein letztes Mal das Zelt auf. Wir haben entschieden, dass wir morgen die zwei Tagesetappen zu einer zusammenfassen und dann wieder zurück nach Santiago fahren werden.
Tag 5
Früh standen wir auf. Es war bitter kalt. Wir packten schnell unsere Sachen und das Zelt, kochten ein letztes Mal Teewasser und verließen unseren Schlafplatz ohne gefrühstückt zu haben, da wir an unserem aller ersten Zeltplatz eine längere Pause in der Sonne machen wollten. Wir gingen dem Fluss folgend durch das Tal. Plötzlich blieben wir stehen. An einem kleinen unscheinbaren flachen Hang neben uns trat Wasser aus dem Berg hinaus und floss bis in den Fluss hinunter. Wir guckten nach oben, kein Gletscher, kein Eis, kein Schnee war zu sehen. Wo kommt denn dieses Wasser urplötzlich aus dem Berg her? Und da war sie, die Lösung unserer seit zwei Tagen beschäftigten Frage. Es muss in den Bergen ein unterirdisches Flusssystem geben, welches Wasser speichert und weiterleitet. Vielleicht noch ein Überbleibsel von Gletschern, die heute mit Geröll und Sand durch Wind oder Erosion überdeckt wurden und unterirdisch bei Sonneneinfall schmelzen. Dieses Wasser rinnt dann willkürlich aus den Bergen und fließt zusammen zu einem Fluss, dem Estero del Cepo, der am Basislager am Fuße des El Plomos noch komplett ausgetrocknet war, denn auf 5000 Hm war es zu kalt, als dass die Sonne hätte den Gletscher zu dieser Jahreszeit schmelzen können.
Wir gingen weiter bis wir unseren ersten Zeltplatz erreicht haben. Wir filterten ein letztes Mal Wasser, kochten Tee und Couscous und erwärmten uns in der Sonne bis wir eine Stunde später weitergingen. Am Pass angekommen, lagen wir sehr gut in der Zeit, sodass wir uns spontan dazu entschieden die Rucksäcke hierzulassen und fix auf den 3612 m hohen Cerro Fransiscano zu gehen, damit wir wenigstens einmal einen Rundumblick hatten.
Als wir wieder zum Pass heruntergingen, sahen wir vom weiten Bergkarakara, die an unseren Rucksäcken hingen. Mit ihren Schnäbeln zerlegten die Vögel die Mülltüte und ihren Inhalt, welche außen am Rucksack hing, gefühlt in tausende Einzelteile. Schnell rannten wir schreiend auf unsere Rucksäcke zu, währenddessen der Wind den Müll verwehte. Mühsam gingen wir bergauf und bergab und sammelten wütend alle Einzelteile wieder ein. Was für ein Ärgernis!
Auch heute war der Skilift nicht in Betrieb, sodass wir die Skipisten hinunter gehen mussten. Eine ziemlich langwierige und wenig abwechslungsreiche Angelegenheit. Wir erreichten das jetzt im Sommer verlassen wirkende La Parva, von wo uns aus zwei Männer bis nach Farellones mit dem Auto mitnahmen. Sie erzählten uns, dass heute die Wahl ist und sie daher zum Wählen zur Polizeistation in Farellones fahren, wo sie uns dann auch hinausließen. Wir gingen die Straße weiter bis uns zwei Mitarbeiter der Stadt mit dem Auto einsammelten. Sie hatten in den kleinen Orten die Stimmzettel zusammengetragen und brachten diese nun nach Santiago. Wir freuten uns schon sehr auf Santiago! Am Abend wurden wir dann herzlich von unseren Freunden Antonia und Theo mit einem heißen Thaicurry empfangen. Was für ein toller Ausklang!